Tag 11, 06.03. & Tag 12, 07.03.
Die Nacht war herrlich. Aus meiner Hängematte konnte ich auf das Meer schauen, in den sternenklaren Himmel blicken und den Wellen lauschen. Was für ein Luxus. Als ich aufwache, sind alle anderen schon aktiv und dabei, das Lager abzubauen. Ich steige glücklich aus der Hängematte und freue mich darüber, dass zum ersten Mal seit 10 Tagen alle Sachen, die ich aufgehängt und rausgelegt hatte, wieder trocken sind. Die gestrige Sonne und das trockenere Küstenklima haben sogar den Rucksack vollständig von Feuchtigkeit befreit. Gegen 7.30 Uhr gibt es Frühstück. Noch einmal Porridge. Als ich, auf einem Felsen sitzend, umherschaue, fällt mir zum ersten Mal etwas auf, das ich in der vortäglichen Euphorie anscheinend übersehen habe. Wir sind an einem absolut verlassenen Strand am Rande des Darien Gaps und dennoch liegen an vielen Stellen Plastikflaschen, Styropor und Müll. Die Fremdkörper wurden anscheinend im Laufe der Zeit angespült. Das macht mich traurig und erinnert daran, dass es auf diesem Planeten mittlerweile keinen Ort mehr gibt, an dem man keine Plastikspuren findet. Wenn man nichts unternimmt, wird es ca. 400 Jahre dauern, bis der sich der Müll zersetzt. So lange will ich nicht warten und beschließe, den Abfall einzusammeln. Ich habe das Gefühl, dass ich das diesem unberührten Ort schuldig bin. Die anderen bekommen mit, was ich tue und helfen. Nach kurzer Zeit haben wir drei etwas mehr als einen Meter hohe Beutel gefüllt mit Plastikmüll vor uns stehen.
Um 8.30 Uhr werden wir, wie vereinbart, von einem Motorboot abgeholt. Aufgrund der starken Brandung müssen wir noch einmal klettern und zur nächsten Bucht. Dort ist es etwas einfacher, in unser Transportmittel zu steigen. Wir verstauen die Rücksäcke, unsere Ausrüstung und die Müllbeutel und machen uns auf den Weg. Der Abschied vom Darien fällt allen schwer. Wir waren gerne im Dschungel. Das merkt man jedem an.
Unser Ziel ist das Embera Dorf Playa Muerto. Hier wollen wir noch eine Nacht bleiben, bevor wir am nächsten Tag die Rückreise nach Panama City antreten. Das Dorf liegt abgelegen, am Rande des Dschungels und nur mit dem Boot erreichbar an einem wunderschönen Strand. Etwa 200 Menschen leben hier und wir sind herzlich Willkommen. Nachdem wir in unserem Haus die Schlafplätze eingerichtet haben gibt es jetzt nur noch ein Ziel: Den Tag genießen.
Zu unserer großen Freude gibt es auch in diesem Dorf die Möglichkeit, einige Dinge zu kaufen. Und zu unserer besonders großen Freude gibt es auch kaltes Dosenbier. Um kurz vor Elf stoßen wir zum ersten Mal an und ich erkläre meinen Mitreisenden, dass wir uns heute an Harald Juhnkes Motto für einen perfekten Tag orientieren. Zunächst mal muss ich meinen mehr als 20 Jahre jüngeren Begleitern erzählen, wer Juhnke war. Seine in meiner Generation bekannte Definition eines vollkommenen Tages „Keine Termine und leicht einen sitzen“ gefällt allen und wir stoßen an. Es wird ein toller Tag. Wir toben in den hohen Wellen, spielen Volleyball, Fußball, Basketball, werden sehr lecker von den freundlichen Embera bekocht, spielen mit den Kindern und entspannen in einer Umgebung, die man als paradiesisch beschreiben kann und für mich einer der perfektesten Orte bleiben wird, die ich je besucht habe.
Am nächsten Morgen geht es weiter mit dem Boot. Wir fahren 2-3 Stunden an der malerischen Küste entlang, sehen unzählige Vögel, Schildkröten, die vor uns abtauchen und fliegende Fische, die über das Meer gleiten. Wehmut und Vorfreude mischen sich. Nun geht es zurück in die Zivilisation, aber ich werde auch wieder Kontakt mit meinen Liebsten haben. Meine Familie hat mir gefehlt. Als wir vom Meer den Rio Tuira einfahren und eine Zeit unterwegs sind, bekomme ich zum ersten Mal wieder ein Signal auf mein Handy. Dann der Schock. Ich habe eine Stunde bevor die ersten Bomben in der Ukraine fielen, das Handy ausgeschaltet und das Signal verloren und muss nun verstört feststellen, dass in Europa seit 12 Tagen ein Angriffskrieg auf eine friedliche Nation erfolgt. Ich habe eine fremde Welt betreten, verlasse sie und kehre eine veränderte Welt zurück. Darauf war ich nicht vorbereitet. Die 10-stündige Rückreise verbringe ich größtenteils damit, mit meiner Frau zu schreiben und mir einen Überblick über die Situation in der Ukraine zu verschaffen.
Wieder im Hotel, auf meinem Zimmer, zum ersten Mal seit 12 Tagen wieder völlig für mich, brechen alle Eindrücke und Nachrichten auf mich ein. Ich bin so emotional wie seit Jahren nicht und weine wie seit meiner Kindheit nicht mehr.
Die Wanderung hat mehr mit mir gemacht, als ich erwartete. Ich spüre, dass mich die Reise verändern, mein Leben verändern wird. Der Krieg in der Ukraine ist schrecklich, den Menschen muss bedingungslos geholfen und das Land nach dem hoffentlich baldigen Ende diese Überfalls wieder aufgebaut werden. Dem Klimawandel ist ein Konflikt des Homo Sapiens jedoch völlig egal. Er schreitet, von Menschen verursacht und so intensiv wie seit Millionen Jahren nicht, weiter voran. Wir müssen jetzt entschlossen handeln, um die schlimmsten Folgen zu verhindern. Der Dschungel hat mich vieles gelehrt. Demut vor dem Wunder der Natur, dass wir ein nur ein Teil dieses unglaublich seltenen kosmischen Zufalls „Leben“ sind und vor allem hat mich der Darien Gap gelehrt, dass man mit sehr wenig sehr glücklich sein kann. Das macht mir Mut, denn wir Menschen der sogenannten ersten Welt müssen verzichten lernen, umdenken und begreifen, dass die zügellosen Auswüchse des „immer mehr“ vorbei sind. Ansonsten wird dieser Planet dafür sorgen, dass unsere Spezies nur einen Wimpernschlag lang existierten und keine Zukunft haben wird. Wir Menschen haben so viele unfassbare, wundervolle und kaum zu begreifende Dinge erschaffen und erreicht. Wir sind dazu in der Lage, die Katastrophe zu verhindern. Wir haben das Wissen, die Werkszeuge und wenig, aber noch ausreichend Zeit. Packen wir es also an. Ich bin dabei.