Tag 9, 04.03. & Tag 10, 05.03.

Die Idee, einen weiteren Ruhetag einzurichten gefiel mir sehr gut. Wir haben einen tollen Platz zum Campieren gefunden. Sehr dicht am Fluss und eine schöne Umgebung. Nur Rick ist nicht ganz zufrieden. Er stellt fest, dass unser Camp sehr nah an einer Route liegt, die gerne auch von Schmugglern genutzt wird. Zusammen mit Joe, unserem Agrarökologen aus Göttingen, der kurz vor der Reise noch beruflich im Kongo war, unheimlich interessante Geschichten zu erzählen hat, 35 Kilometer am Stück schwimmen kann und scheinbar jede Pflanze im Dschungel kennt und erklären kann, macht sich unser Guide am frühen Morgen des Ruhetages auf, um nach einem alternativen Standort für uns zu suchen. Kontakt mit den oft bewaffneten und schwer einzuschätzenden Schmugglern will er unbedingt vermeiden. Nach 2 Stunden kehren die beiden zurück. Es gibt zwar eine Alternative, aber wir entscheiden dennoch, auch die nächste Nacht hier zu verbringen. Das ist mir sehr recht. So kann ich meinen total verdreckten und verschlammten Rucksack mal reinigen, die Ausrüstung säubern und mal etwas zur Ruhe kommen. Die Eindrücke dieser Tour brennen sich im Sekundentakt in mein Gedächtnis. All das muss auch mal verarbeitet werden. Ich genieße die Ruhe und nehme mir Zeit, um mit mir allein zu sein. Gehe den Rio Pina entlang, durch den dichten Regen und versuche, meine Gedanken zu sortieren. Ich merke, dass ich dafür auf jeden Fall noch länger als einen Ruhetag im Dschungel benötige.

Wir haben Zeit, uns untereinander weiter kennenzulernen. Jeder bringt hat seine Vita, die ihn oder sie irgendwie an diesen Ort gebracht hat mit. Der Suizid der Mutter, die Trennung der Eltern, die Arbeitslosigkeit, eine schwere Kindheit und Jugend und viele andere Themen werden vertrauensvoll ausgetauscht. Das Team funktioniert nicht nur, wir sind eine echte Gemeinschaft und gehen sehr behutsam miteinander um. Ich erlebe während der gesamten Wanderung nicht einen einzigen Moment, indem es auch nur den Anschein eines Konfliktes oder eine Respektlosigkeit gab. Auch das hat mich sehr beeindruckt.

Voller Motivation und Entschlossenheit und mit der wiedergewonnenen Kraft eines Ruhetages entscheiden wir am Abend, dass wir die restlichen Kilometer bis zum Pazifik nicht an zwei, sondern an einem Tag schaffen wollen. Es ist noch dunkel, als wir am 10. Tag unser Lager abbauen. Plötzlich schreit Florian, unser 30-jähriger IT-Spezialist aus Frankfurt, hell auf. Sofort laufen wir mit unseren eingeschalteten Stirnlampen zu ihm. Er liegt am Boden und hält sich den Arm. Er sagt, ein Skorpion wäre ihm am Bein hochgelaufen. Als Florian ihn wegwischen wollte, habe er zugestochen. Nina, unsere Krankenschwester aus der Nähe von Graz, schaut sich den Arm an, während wir zu dritt versuchen, den Skorpion zu finden. Falls sich Florians Zustand verschlimmern sollte, ist es wichtig, ein Foto von dem Tier zu haben, dass gebissen oder gestochen hat. Nur so können die richtigen Maßnahmen eingeleitet werden. Leider finden wir nichts. Der Übeltäter hat sich aus dem Staub gemacht. Zum Glück hat Florian nicht mehr Symptome als nach einem Wespenstich. Rick erklärt, dass für einen Skorpion gilt: Je größter der Schwanz in Relation zum Körper, desto giftiger. Wieder was gelernt. Hier waren die Relationen anscheinend nicht lebensgefährlich.

Da es Florian nicht besonders schlecht geht, brechen wir auf. Pazifik, wir kommen. Noch einmal will uns der Darien Gap an diesem Tag Demut lehren und uns zeigen, dass es kein Spaziergang ist, ihn zu durchqueren. Wir müssen rund 600 Höhenmeter mit teilweise sehr steilen Passagen bewältigen. Von der Vorfreude und Euphorie bezüglich des nahenden Ziels getrieben, sind wir in 2 Stunden oben angekommen. Lachende und strahlende Gesichter umgeben mich, als wir zum ersten Mal das Meer erblicken. Das Ziel ist scheinbar nah. Allerdings vergessen wir für den Moment, dass wir noch einiges vor uns haben. Zunächst mal einige Kilometer rauf und runter, ohne besonders viele Höhenmeter zu reduzieren. Irgendwann geht es dann aber abwärts. Noch einmal 6 Stunden Matsch, rutschen, konzentrieren, fallen, fluchen und immer wieder kurze Pausen, um nach Luft zu schnappen. Wir sind ungeduldig und der Körper brüllt einem entgegen, dass es jetzt auch wirklich reicht, mit den Anstrengungen.

In der sechsten Stunde sich reduzierender Höhenmeter hören wir wieder den Fluss. Erst ganz leise, so dass man sich nicht sicher ist ob es eventuell der Wind ist, dann aber immer klarer, bis Tobi ruft „Da unten ist Wasser!“. Jetzt noch einmal die letzten Meter keinen Fehler machen, um nicht als der Dämliche dazustehen, der sich auf dem finalen Stück die Knochen gebrochen hat. Wir kommen am Fluss an und gehen Richtung Meer. Plötzlich geht jeder Schritt wie von selbst, denn wir wissen, dass wir auf dem letzten Stück sind. Der Fluss macht eine Biegung und dann der Glücksmoment: Das Grün des Dschungels öffnet sich und wir blicken auf einen palmengesäumten Strand und das Meer. Es ist schwer zu beschreiben, welche Emotionen in dem Moment den Kopf fluteten. Die pure Freude, Glückseligkeit und Erleichterung sind auf jede Fall dabei. Wir werfen die Rucksäcke in den Sand, trennen und von den verschwitzen, schmutzigen Sachen und laufen in die meterhohen Wellen des pazifischen Ozeans. Wir jubeln, lachen und umarmen uns. Es ist geschafft. Wir sind durch den Darien Gap gelaufen. Nur wenige Menschen haben das bisher getan. Es ist etwas Besonders, etwas, das mich noch lange und nachhaltig beschäftigen wird. Ganz sicher wird es auch mein Leben und Denken verändern. Doch an diesem Tag genießen wir erstmal jede Minute. Es gibt frische Kokosnüsse, die wir von den Palmen holen, die Reste unsere Vorräte und ein großes Lagerfeuer am Strand. Wir erzählen uns Geschichten, lassen die Tour Revue passieren und versuchen zu verstehen, was wir alles erlebt haben.

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