Tag 1, 24.02. – Anreise

Nach 8 Monaten Vorbereitung, zahlreichen Trainings und intensiver Planung geht es nun endlich los. In den nächsten 12 Tagen erwartet mich das größte Abenteuer meines Lebens. Meine hohen Erwartungen an die Wanderung werden nicht zur erfüllt, sondern übertroffen. Ich werde über atemberaubende Erlebnisse berichten können. Eine einzigartige, intakte Natur, wunderschöne Landschaften, Kontakte mit den indigenen Embera, maximale Erschöpfung, unheimliche Begegnungen mit Bewaffneten, zwei Evakuierungen von Teammitgliedern, Bissverletzungen, Stürze, Spinnen- und Ameisenattacken, Verwundungen und den Schock, nach der Rückkehr eine veränderte Welt vorzufinden. Am Tag vor dem Aufbruch kam ich mit einem Taxifahrer der Millionenmetropole Panama City ins Gespräch. Ich fragte ihn, was er vom Darien Gap halten würde. Seine Antwort war: „No one goes trough the Darien Gap. That is too dangerous“. Meine Anspannung nahm zu.

Nachdem wir am Abend zuvor mit allen Teilnehmern eine letzte Besprechung im Hotel abgehalten haben, geht es um 5 Uhr morgens los. In der Hotellobby werden an alle Hängematten und Tarps verteilt. Ein Tarp ist eine Überdachung und schützt gegen Regen und Sonnenstrahlen. Unser Team besteht aus neun Teilnehmern. Eine zehnte Teilnehmerin hat kurz vor dem Start abgesagt. Sie fühlte sich nicht fit genug für die Tour. Ich bin mit Abstand der Älteste der Gruppe. Der nächst jüngere ist fast 20 Jahre nach mir geboren. Wir sind 7 Männer und 2 Frauen. Dazu kommt unser Teamleiter, Kyrill. Ein durchtrainierter Kletterer, Sportfreak und Parcours-Spezialist. Angeführt wird die ganz Gruppe von Rick Morales. Er ist Panamaer, geht seit 21 Jahren in den Dschungel und ist der beste Guide, den man für so eine Unternehmung bekommen kann.
Mit dem Bus fahren wir etwa 5 Stunden von Panama City Richtung Kolumbien die Panamericana entlang, die längste Straße der Welt, die von Alaska bis Feuerland führt und nur auf einem kleinen, ca. 100 Kilometer langen Stück von einem undurchdringlichen Dschungel unterbrochen wird. Dem Darien Gap. Genau das ist unser Ziel. Durch verschiedene Kontrollpunkte schwer bewaffneter Polizeieinheiten werden wir zum ersten Mal daran erinnert, dass die Region vor allem bei Schmugglern beliebt und von tausenden Flüchtlingen genutzt wird. Denen wollen wir möglichst nicht begegnen.

In Porto Quimba steigen wir auf ein Motorboot um. Die wenigen Einheimischen, die auf ein Boot als Transfermittel warten, beobachten uns aufmerksam und überlegen, was wir wohl vorhaben. Außer unseren mit Ausrüstung versehenen Rucksäcken werden auch Vorräte verladen. Vor allem Reis, Nudeln, Bohnen und Konservenfleisch.
Wir fahren den Rio Iglesias entlang und dann weiter auf dem Rio Toyde, bis der Wasserstand zu niedrig ist. Wir wechseln auf 3 Kanus der einheimischen Embera, die an einer verabredeten Stelle auf uns warten und uns weitere eineinhalb Stunden in den Darien Gap befördern. Die Vegetation ist wunderschön. Grün, so weit das Auge reicht, Krokodile huschen ins Wasser, verschiedene Vogelarten beobachten uns aus sicherer Entfernung und hin und wieder eine Hütte der Einheimischen. Wir kommen endlich in El Bacao an. Ein 150 Seelen Dorf der Embera. Dort werden wir die Nacht verbringen, bevor wir uns auf den Weg machen.

Die Embera wirken distanziert, schüchtern und sind zunächst schwer einzuschätzen.
Wir bekommen eine Hütte zugewiesen, in der wir uns einrichten und unsere Hängematten aufhängen dürfen. Rick unterweist uns darin, eine Hängematte und das Tarp aufzuhängen, ohne dass es vorab den Boden berührt. Außerdem gibt es eine sehr amüsante Einweisung darin, wie man im Dschungel das große Geschäft verrichtet. Es wird ein “Shit hole“ ausgegraben und außerdem sollte man das immer in der Nähe eines Baumes machen, erklärt er professionell. So kann man sich festhalten und erlebt keinen Reinfall, im wahrsten Sinne des Wortes.
Wir sind gerade dabei, unsere Schlafplätze einzurichten, als Kyrill mit blutender Wade auftaucht und das Erste Hilfe Pack auspackt. Ein Hund der Embera hat ihn gebissen. Er versorgt die Wunde und wir hoffen, dass sie sich nicht entzündet. Das passiert im Regenwald sehr schnell. Außerdem verheilt eine Verletzung enorm langsam und wird gerne von Parasiten zur Eiablage befallen. Kein guter Start. Ein Hundebiss hatte keiner von uns auf der Rechnung, als es um die Gefahren der Reise ging. Als nächstes verteilen wir mit Hilfe einer kleinen Handwaage die Vorräte gerecht auf alle Teilnehmer. Jeder hat nun ca. 23-25 Kilo Gewicht im Rucksack.

Als alle Pflichten erledigt und Vorbereitungen getroffen sind, hören wir vertraute Geräusche. Einige Embera spielen Fußball. Wir kommen ins Gespräch und einigen uns auf ein Spiel Embera gegen Wandermut. Auf einem Platz, der mit Kies, Unebenheiten und sporadischem Graswuchs jeden Profikicker erschaudern ließe, treten wir in Sandalen gegen die motivierten Indigenen an. Die Hitze und die hohe Luftfeuchtigkeit lassen uns nach wenigen Minuten klatschnaß dastehen, aber Spaß macht es trotzdem. Nahezu das ganze Dorf sieht zu wie wir letztendlich mit 2:5 verlieren. Spaß hat es dennoch gemacht und das Eis ist gebrochen. Fußball in seiner ursprünglichen, nicht durchkommerzialisisierten Art, verbindet die Menschen, egal wie fremd sie sich sind.
Es gibt gebratene Bananen-Maisfladen mit Würstchen zum Abendessen, dazu Wasser, dass wir vorab gefiltert haben. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit gehen wird schlafen. Der Tag war lang und wir müssen um 4 Uhr wieder raus.
Über meiner Hängematte entdecke ich ein Netz mit einer Handteller großen Spinne. Ein Stück weiter ein Wespennest und aus meiner Rucksack flüchtet eine Kakerlake. Willkommen im Dschungel und gute Nacht.

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