Meine erste Nacht in der Hängematte endet um 4 Uhr mit dem leisen Piepen der Weckfunktion meiner Armbanduhr. Ich tippe die anderen nach und nach an und zusammen schleichen wir zur Hängematte von Antonia, die heute ihren Geburtstag feiert. Wir bringen ihr ein Ständchen, wobei der eine oder andere kaum in der Lage ist, um diese Zeit zu singen. Antonia freut sich dennoch sehr.
Wir kümmern uns um die Morgenhygiene, bauen unser Camp ab und verstauen unsere Sachen im Rucksack. Um 5 Uhr gibt es Frühstück. Frittierte Teigtaschen mit Wurst vom Vortag. Ich habe für die Wanderung beschlossen, nicht auf meine ansonsten überwiegend vegane Ernährung zu bestehen. Ich brauche die Kalorien und kann es mir nicht erlauben, Teile der Mahlzeit wegzulassen. Außerdem ist Fleisch bei den Embera etwas Besonderes und die Zurückweisen gilt als unhöflich. Wer so ein Abenteuer auf sich nimmt, muss Kompromisse eingehen.


Um Punkt sechs Uhr geht es los. Entgegen der ersten Vermutung, kommen wir doch mit den Kanus weiter obwohl das Wasser im Fluss sehr niedrig ist. Nach ca. 1,5 Stunden erreichen wir ein weiteres Embera Dorf. Hier steigen wir, von den Einwohnern beäugt, aus und erledigen letzte Kontrollen an der Ausrüstung und den Rucksäcken. Zwei Polizisten in Armee Uniform kontrollieren die Papiere. Rick hat die Genehmigung, durch das Embera Gebiet laufen zu dürfen und los geht es. Die Polizisten begleiten uns noch bis zum Beginn des Dschungel Pfades und verabschieden uns „Faust an Faust“. Man sieht ihnen an, dass sie wohl nicht nachvollziehen können, was wir und warum wir das tun.


Wir nutzen zunächst einen schmalen, unebenen Weg, der parallel zum Fluss führt und tauchen dann in den Darien ein. Erst am Pazifischen Ozean werden wir das geheimnisvolle, wenig erforschte Regenwald Gebiet wieder verlassen. Schon nach wenigen Minuten spüre ich den deutlichen Unterschied zwischen Teutoburger Wald und Tropen. Ich bin komplett naß. Die Hitze und Luftfeuchtigkeit leisten ganze Arbeit. Nach etwa einer Stunde bin ich so durchgeschwitzt, dass mir der Schweiß am Ellbogen in nicht heruntertropft, sondern wie am schwach aufgedrehten Wasserhahn läuft. Die anderen haben ihren Spaß damit. Mit meinen 4,5 Litern Wasservorrat trinke ich gegen diese Entwicklung an. Obwohl ich stark schwitze habe ich konditionell keine Probleme. Der Puls ist überschaubar und ich ringe nicht nach Luft. Anders ist es bei Antonia. Es liegt nicht an ihrem Geburtstag, sondern wohl daran, dass sie das erste Mal in den Tropen ist. Fit ist die Frau. Sie ist im letzten Jahr einmal komplett durch Deutschland gelaufen und hat dabei 1.600 Km zurück gelegt. Nun aber, kämpft sie mit den besonderen und ungewohnten Bedingungen. Mehrfach halten wir, damit sie sich etwas erholen kann. Alex, 30 Jahre, aus Berlin, hat ebenfalls leichte Probleme. Er hat Erkältungssymptome. Das macht ihm etwas zu schaffen und er wirkt besorgt. Die größten Probleme hat jedoch Carsten aus Dresden. Er ist erst am Abend vor dem Start aus Deutschland angereist und scheint enorm unter dem Jetlag und der Klimaumstellung zu leiden. Immer wieder liegt er am Boden und ringt nach Luft. Ich entscheide mich, mit zwei weitern Teilnehmern, ihm einen Teil seines Gewichtes abzunehmen, damit er überhaupt durch den Tag kommt. Er hat starke Probleme, sobald wir Höhenmeter machen.


Nach 12 Kilometern und 400 Höhenmetern errichten wir unser erstes Camp im Dschungel. Wir haben einen wundervollen Platz gefunden. Direkt am Fluss, der uns traumhafte Badebedingungen schenkt. Die Stimmung ist super. Wir springen in Unterhose in die erfrischenden Fluten. Herrlich! Ich habe am Abend „Küchendienst“ und bereite mit unserm Koch „Segundo“ Spaghetti mit Thunfisch vor. Das Kochen mit Segundo ist ein Erlebnis. Er ist die absolute Ruhe und Perfektion in Person. Obwohl unter einfachsten Bedingungen arbeitend, achtet er peinlich genau die richtigen Maßeinheiten und erklärt einem nebenbei die Konjugation diverser spanischer Verben, die ich leider immer noch in der Grundform drauf habe, weil mir zu wenig Zeit blieb, mehr zu lernen. Wir alle werden Segundo und seine Art im Laufe der nächsten Tage tief in unser Herz schließen.
Beim Abendessen unterhalten wir uns über die erste Etappe. Wir sahen einen Skorpion, hatten erst Bekanntschaft mit der „Bullet Ant“, eine Ameise, die den Ruf genießt, den schmerzhaftesten Stich in der Insektenwelt für sich zu beanspruchen. Wir alle haben einen Heidenrespekt vor dem Tierchen und warnen uns gegenseitig, sobald ein Exemplar gesichtet wird. Das war heute mehrfach der Fall. Außerdem fand Rick die Reste eines Faultiers und war der Meinung, dass ein Puma hier am Werk war.


Dann die große Überraschung nach dem Essen. Rick und die beiden Embera haben, wie auch immer sie das im Dschungel angestellt haben, einen Kuchen für Antonia gebacken. Frisch und warm stürzen wir uns auf den leckeren Nachtisch und lassen Antonia erneut hochleben. Jetzt ist der Gesang deutlich lauter. Gegen 18.30 Uhr wird es schnell dunkel. Max, ein 23-jähriger sehr sympathischer Draufgänger aus Berlin und Tobias, 28, aus Saarbrücken, der uns mit seiner 360 Grad Kamera die besten Aufnahmen der Reise liefern wird, locken mich aus meiner Hängematte, um im Dunkeln und mit der Stirnlampe bewaffnet auf eine kleine Nachtwanderung zu gehen. Die lohnt sich. Nachts kommen eine Menge Tiere aus den Verstecken. Unzählige Spinnen, Skorpione, Frösche, Schaben und auch 2 Schlangen werden entdeckt. Wir werden übermütig und ich ticke eine mittelgroße Spinne, die der berüchtigten, tödlichen Bananen- oder Kammspinne ähnlich sieht, mit einem dünnen Stock an, um zu sehen wie sie reagiert. Sofort attackiert die achtbeinige Gefahr mit einem spürbaren Stoß und Biss den Stock und geht bedrohlich auf uns zu. Das reicht uns fürs Erste und wir leiten die Bettruhe ein.


Die Nacht im Dschungel ist dunkel. Es ist so dunkel, dass man die Hand nicht vor Augen erkennen kann. Nur hin und wieder leuchtet ein Glühwürmchen auf. In der Hängematte liegend, lausche ich den Geräuschen der Nacht und schlafe zufrieden und glücklich ein. So entspannt und problemlos wird es leider nicht weitergehen, aber das konnte ich an diesem Abend noch nicht wissen.

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