Tag 8, 03.03. – Höllentour

Um 3.45 Uhr endet die Nacht. Wach war ich schon vorher. Vermutlich war es die Anspannung vor dem, was vor uns lag. Schon in den ersten 7 Tagen war die Anstrengung immer wieder grenzwertig, doch was heute auf uns zukommen sollte, stellte alles in den Schatten. Wir bauen das Camp ab und starten um 5 Uhr. Schon am Abend zuvor hatten wir die Tour und den Tag besprochen. Rick wies uns darauf hin, dass wir sehr früh los müssten, keine Zeit für ein ausgiebiges Frühstück oder sonstiges Zubereiten von Mahlzeiten bleiben würde. Alle sollten sich mit Energieriegeln, Nüssen und Trockenfrüchten durch den Tag bringen. Wir hatten nicht nur 16 Kilometer vor uns, sondern auch über 900 Höhenmeter mit einer Steigung von 45 Grad und mehr. Rick stellte fest, dass das jeden Teilnehmer schon unter normalen Bedingungen an seine Grenzen bringt. Allerdings würde der seit drei Tagen anhaltende Regen und der damit verbundene extrem schlammige Boden die Tagestour zu einer Tortour machen. Und er versprach tatsächlich nicht zu viel. 

Wir starteten mit Stirnlampen im Dunkeln und liefen circa 2 Stunden den Fluss entlang. Das war wie schon in den vergangenen Tagen eine einzige Rutschpartie. Nun kam noch hinzu, dass das Licht der Lampen von nervenden Insekten, insbesondere den schon gestern attackierenden Bremsen, als Einladung verstanden wurde. Die Ruhe der Laufenden wurde nur durch das Fluchen nach einem Biss oder dem Schlagen auf schweißnasse Kleidung unterbrochen. 

Gegen 7 Uhr erreichten wir dann den Punkt, an dem wir die Steigung angehen wollten. Gleichzeitig bis zum Abend die letzte Gelegenheit, die Wasservorräte aufzufüllen. Wir filterten so viel kostbares Nass wie möglich, was natürlich gleichzeitig das zu tragende Gewicht im Rucksack an ein Maximum brachte. Und los ging es. Ich hatte mich für Handschuhe und die etwas robustere Hose für den Tag entschieden, da wir viel klettern mussten und ich mich somit besser vor Dornen und Insekten schützen konnte. Ich kann an dieser Stelle kaum beschreiben wie es ist, wenn man sich 900 Höhenmeter auf sehr schlammigen Boden noch oben kämpft. Zwei Schritte vor, einen rutscht man zurück. Die Trekking Stöcke hatten wir auf ein Minimum der verstellbaren Größe reduziert, nutzen sie wie Eispickel am Gletscher und zogen uns hoch. Immer wieder täuschte man sich, weil eine Wurzel Halt versprach, dann aber beim festen Zugreifen riss oder einfach zur zerbrach. Trotz intensivster Vorbereitung und monatelangem Training war das die totale Grenzerfahrung. Antonia, die seit 25 Jahren mit Diabetes lebt und dennoch eine erfahrene und gute Sportlerin ist, kämpft gegen die Erschöpfung an. Wir wissen bereits, dass sie enormen Biss hat und über ihre Grenzen geht. Allerdings können wir heute keinen Notfall riskieren. Eine Bergung würde uns alle überfordern. Wir bieten ihr an, einen Großteil ihres Gepäcks auf uns zu verteilen, um den Aufstieg zu erleichtern. Nach einigem Zögern nimmt sie an.  

Nach knapp 6 Stunden erreichen wir endlich den Gipfel. Es ist eine Umgebung wie aus einer andern Zeit. Pflanzen und Bäume, die ich so noch nie gesehen habe. Würde jetzt ein Dinosaurier aus dem Buschwerk kommen, er würde besser in diese Umgebung passen als diese merkwürdigen, keuchenden Zweibeiner, die sich mit Powerriegeln und Trockenfrüchten stärken und hastig Wasser aus Schläuchen trinken, um wieder zu Kräften zu kommen. Denn, nach einer kurzen Pause, kommt der Abstieg. Wir müssen wieder runter. Wir brauchen den Fluss und frisches Wasser. Während man beim Aufstieg unter diesen Bedingungen immer wieder rutscht und dann auf dem Bauch landet, ist des beim Runterklettern eine ganz andere Nummer. Hier ist jeder Schritt mit der Gefahr verbunden, metertief zu fallen und sich zu verletzen. Es ist  eine einzige Rutschpartie unter enormer Anspannung. Immer wieder liegt, rutscht oder fällt jemand. Tobi passiert es, dass er sich an einem jungen Baum festhalten will, dieser aufgrund des enorm weichen Bodens dann aber mit ihm zusammen einige Meter Richtung Tag rollt. Selbst die aus Österreich kommende Nina, die die ganze Tour bisher einfach nur gelaufen ist – kein Klagen, kein Sturz, immer ein Lächeln auf den Lippen – ist heute deutlich konzentriert und kann sich der Anziehungskraft nicht immer entziehen. 

In dieser Phase der monströsen Belastung meldet sich Tobi in einer kurzen Pause. Wir hatten vor der Reise vereinbart, dass jeder eine kleine Überraschung für das Team mitbringt, um in Grenzsituationen und bei mentalen Durchhängern für bessere Stimmung zu sorgen. Kyrill hatte uns schon vor einigen Tagen mit leckeren Süßigkeiten verwöhnt, ich hatte mich für verschiedene Gewürze entschieden, um dem einfachen Essen im Dschungel eine zusätzliche Note zu verpassen. Tobi ist frisch aus Kolumbien eingetroffen und hat uns Koka Tee mitgebracht. Wir sollen einfach einen Teebeutel in den Mund stecken, darauf herumkauen und nach einer halben Stunde die Wirkung abwarten. Die Dosis sei nicht gefährlich und der Tee sogar legal, versichert uns Tobi mit einem verschmitzten Lächeln. Keiner überlegt lange. Nach kurzer Zeit haben alle einen Teebeutel mit Kokainanteil im Mund. Niemals in meinem Leben habe ich eine Droge, außer Alkohol, probiert und bin sehr gespannt auf das was passiert. Werde ich den Berg hinunter fliegen können? Durch Regenbögen laufen? Nach 40 Minuten ist meine Zunge und der Mundraum taub, aber der Abstieg immer noch anstrengend wie zuvor. Ich trenne mich von dem Geschenk und gebe es dem Dschungel zurück. Ich nehme dann doch lieber Magnesium und Datteln zum Aufputschen.

Am frühen Abend kommen wir endlich am Fluss an. Ich werfe meinen Rucksack ab und lege mich erstmal in die Strömung, um mich zu erfrischen. Ein herrliches Gefühl. Wir schlagen unser Lager auf und entscheiden, morgen einen Ruhetag einzulegen, um Kräfte für die restlichen Kilometer bis zum Pazifik zu sammeln. Besonders wichtig ist es am Abend, die nassen Schuhe auszuziehen und die Füße zu trocknen, damit sich kein Pilz festsetzt. Ich nutze Babypuder. Das ist ein guter Tipp, um die Haut schnell zu trocknen. Als ich in luftigen Sandalen meine nassen Sachen im bereits dunklen Camp auf eine gespannte Leine hänge, spüre ich einen plötzlichen, intensiven Schmerz in der Zehe. Irgendetwas hat mich gebissen oder gestochen. In der Dunkelheit und da ich mich vor Schreck 2-3 Meter zurückbewegt habe, kann ich nicht mehr erkennen welches Tier sich von mir bedroht fühlte. Es schmerzt und meine Zehe wird taub. Wenn man nicht sieht, was einen verletzt hat, löst das in der Region und bei dem, was dort alles an Getier unterwegs ist, ein ungutes Gefühl aus. Zum Glück lassen die Schmerzen im Laufe der Nacht nach. Die Zehe allerdings bis heute noch an einigen Stellen völlig ohne Gefühl. Trotzdem, Glück gehabt. Hätte schlimmer kommen können.

Total erschöpft schlafe ich sehr früh ein.

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