Die erste Nacht, in der Hängematte irgendwo im Regenwald liegend, war besser als gedacht. Ich war zwar einige Male wach, aber man liegt recht komfortabel in dem ultraleichten Stoff. Da ich schon sehr früh schlafen ging, wachte ich auch sehr früh auf. Im Dunkel liegend fragte ich mich, wer wohl das arme Schwein ist, das festlegt, welcher Insektenbiss oder -stich auf der Schmerzskala, die von 1.0 bis 4.0 reicht, entscheidet, wie schlimm das jeweilige Krabbeltier sein Opfer peinigen kann. Ein Job, um den sich bestimmt nicht viele bewerben. Ich habe auch erste Bisse und Stiche. Trotz der langen Kleindung und Spray lässt sich das nicht ganz vermeiden.
Heute werden wir etwas mehr als zehn Kilometer laufen und dabei rund 250 Höhenmeter zurücklegen. Für mich werde ich diesen Tag als den entspanntesten der Tour in Erinnerung behalten. Es sind nicht die Anstrengungen, die den Tag prägen, sondern andere Dinge. Wir hören zum ersten Mal Brüllaffen. Sie haben einen 25 Mal größeren Kehlkopf als der Mensch. Rick erklärt uns, dass der Brüllaffe recht faul ist. Aufgrund seines extrem lauten Organs, muss er nicht ständig sein Territorium ablaufen, um es gegen Artgenossen zu verteidigen. Er brüllt diese einfach über Kilometer Distanzen an und signalisiert, dass hier schon jemand das Sagen, bzw. das Brüllen hat. Die Geräuschpegel sind atemberaubend und beeindruckend. Leider sehen wir die Tier nicht, da unsere Route ihren Standort um gut zweihundert Meter verfehlt.

Während einer Pause am Fluß kommt es dann zum ersten Mal zu einer Situation, die wir vermeiden wollten. Der Darien gilt vor allen deshalb als der gefährlichste Dschungel weltweit, weil sich dort besonders viele bewaffnete Schmuggler, Banden und kolumbianische FARC Rebellen aufhalten. Unsere Route haben wir so gelegt, um ihnen bestmöglich aus dem Weg zu gehen. Nun aber, am Fluss sitzend und mit dem Essen in der Hand kommen plötzlich 3 Fremde auf uns zu. Einer trägt ein Gewehr, der nächste hält eine Machete in der Hand. Für kurze Zeit bin ich sehr aufgeregt, bleibe aber ruhig. Sobald sie näher kommen, tun wir das, was wir uns für solche Fälle vorgenommen haben. Nett lächeln und einfach grüßen. Bloß keine Fotos oder Fragen. Und siehe da. Auch sie lächeln, grüßen und gehen weiter. Wir wissen nicht ob es Goldsucher, Jäger oder Schmuggler waren. Wir beschließen jedoch, unser Lager am Abend nicht unbewacht zu lassen, um die Unbekannten nicht unnötig einzuladen, die Kaffeekasse mit unseren Wertsachen aufzubessern.

Es gibt weitere Ereignisse. Während mir und anderen die Tour dieses Tages als gut machbar in Erinnerung bleibt, sieht es bei einigen anderen völlig entgegengesetzt aus. Carsten liegt immer wieder und ringt nach Luft. An Stellen, die vom Anspruch gut zu bewältigen sind und keine großen Pausen erfordern. Ich frage mich, wie um Himmels Willen er den zweiten Teil der Tour schaffen wird. Dort sind bis zu 1.000 Höhenmeter mit enormen Schwierigkeitsgraden zu bewältigen. Dann der Schock für mich. Carsten erzählt, dass er sich für Touren, die er bucht nie vorbereitet. Er kauft die Ausrüstung und lässt sich überraschen. Ich ringe um Fassung und muss mich zurückhalten, nicht direkt den Brüllaffen keine Konkurrenz zu machen. Von mir aus kann er für sich alleine naive, unvernünftige und dumme Entscheidungen treffen. Hier ist jedoch ein ganzes Team betroffen. Sich auf eine solche Tour nicht vorzubereiten ist verantwortungslos und maximal egoistisch. Sollte er sich verletzen oder gar nicht mehr können müssten wir nicht nur sein Gewicht übernehmen, sondern im schlimmsten Fall auch noch ihn. Im Notfall macht man das. Selbstverständlich. Aber bei Carsten ist das eine Notsituation mit Ansage. Niemals kommt er die eintausend Höhenmeter hoch. Nicht unter diesen Bedingungen. Ich versuche, ihm ruhig klarzumachen, dass er einen großen Fehler begangen hat, hier mitzugehen und wir noch Herausforderungen vor uns haben, gegen die die ersten beiden Tage ein lockerer Aufgalopp sind. Er meint, er wird das schon irgendwie schaffen, es dürfe halt nur nicht so hoch gehen. Ich beiße mir auf die Unterlippe und entferne mich von ihm.

Dann die nächsten Hiobsbotschaften. Tobias und Antonia haben Magen-, Darmprobleme. Nicht gut. Doch die schlechten Neuigkeiten reißen nicht ab. Alex hat einen Corona Test gemacht und ist positiv. Ich hatte so sehr gehofft, während der Tour nicht an dieses Virus denken zu müssen. Nach zwei Jahren endlich mal vor Covid zu fliehen. Das hatte sich nun erledigt. Das gesamt Team versammelt sich und berät. Wir haben fünf Leute dabei, darunter ich, die in den letzten Wochen positiv waren und somit genesen sind. Für uns ist es ok und wir signalisieren schnell, dass es ok ist, wenn Alex weitermachen will. Entscheiden müssen letztendlich aber diejenigen, die sich bei Alex mit deutlich größerer Wahrscheinlichkeit anstecken und bei Symptomen große Probleme mit den körperlichen Herausforderungen der Tour bekommen können. Nicht zuletzt die Gefahr von Langzeitschäden oder einer Herzmuskelentzündung. Am Ende sind alle der Meinung, dass es ok ist, wenn Alex weitermachen will. Er soll allerdings Abstand halten und möglichst nur seine Gegenstände anfassen.
Alex selbst hat Zweifel. Er fühlt sich immer noch nicht besser. Hat Sorge vor den Folgen und Gefahren von Corona. Er weiß nicht, welche Variante ihn plagt.
Rick ergreift das Wort und teilt mit, dass morgen der einzige Tag ist, an dem es eine Chance gäbe, einigermaßen unkompliziert zu evakuieren. Immer noch ein 2 Tagestrip mit verschiedenen Kanus, Booten und der Hilfe der Embera. Auch müsste Segunda mit, um den Ablauf und die Ankunft sicher zu stellen. Ab dem 5. Tag, so legt Rick nach, sei es ein „Point of no Return“. Selbst ein Helikopter könne kaum helfen, weil wir tagelang unter dichtestem Baumbestand laufen. Dort kann nix landen oder abgeseilt werden. Mal abgesehen von den enormen Kosten, selbst wenn es ginge. Die Stimmung ist angespannt. Die schlagartige Masse der Probleme und Sorgen lässt uns nicht so gut gelaunt in die zweite Nacht gehen. Morgen werden einige Entscheidungen zu treffen sein. Ich hoffe, dass es den Kranken besser gehen wird, Alex in sich hinein fühlt und bei Carsten wünsche ich mir inständig, dass er abbricht. Ansonsten sehr ich ein Konfliktpotential, das die Macher des RTL Dschungelcamps vor Neid erblassen lässt.

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