Die Nacht war herrlich. Aus meiner Hängematte konnte ich auf das Meer schauen, in den sternenklaren Himmel blicken und den Wellen lauschen. Was für ein Luxus. Als ich aufwache, sind alle anderen schon aktiv und dabei, das Lager abzubauen. Ich steige glücklich aus der Hängematte und freue mich darüber, dass zum ersten Mal seit 10 Tagen alle Sachen, die ich aufgehängt und rausgelegt hatte, wieder trocken sind. Die gestrige Sonne und das trockenere Küstenklima haben sogar den Rucksack vollständig von Feuchtigkeit befreit. Gegen 7.30 Uhr gibt es Frühstück. Noch einmal Porridge. Als ich, auf einem Felsen sitzend, umherschaue, fällt mir zum ersten Mal etwas auf, das ich in der vortäglichen Euphorie anscheinend übersehen habe. Wir sind an einem absolut verlassenen Strand am Rande des Darien Gaps und dennoch liegen an vielen Stellen Plastikflaschen, Styropor und Müll. Die Fremdkörper wurden anscheinend im Laufe der Zeit angespült. Das macht mich traurig und erinnert daran, dass es auf diesem Planeten mittlerweile keinen Ort mehr gibt, an dem man keine Plastikspuren findet. Wenn man nichts unternimmt, wird es ca. 400 Jahre dauern, bis der sich der Müll zersetzt. So lange will ich nicht warten und beschließe, den Abfall einzusammeln. Ich habe das Gefühl, dass ich das diesem unberührten Ort schuldig bin. Die anderen bekommen mit, was ich tue und helfen. Nach kurzer Zeit haben wir drei etwas mehr als einen Meter hohe Beutel gefüllt mit Plastikmüll vor uns stehen.

Um 8.30 Uhr werden wir, wie vereinbart, von einem Motorboot abgeholt. Aufgrund der starken Brandung müssen wir noch einmal klettern und zur nächsten Bucht. Dort ist es etwas einfacher, in unser Transportmittel zu steigen. Wir verstauen die Rücksäcke, unsere Ausrüstung und die Müllbeutel und machen uns auf den Weg. Der Abschied vom Darien fällt allen schwer. Wir waren gerne im Dschungel. Das merkt man jedem an.
Unser Ziel ist das Embera Dorf Playa Muerto. Hier wollen wir noch eine Nacht bleiben, bevor wir am nächsten Tag die Rückreise nach Panama City antreten. Das Dorf liegt abgelegen, am Rande des Dschungels und nur mit dem Boot erreichbar an einem wunderschönen Strand. Etwa 200 Menschen leben hier und wir sind herzlich Willkommen. Nachdem wir in unserem Haus die Schlafplätze eingerichtet haben gibt es jetzt nur noch ein Ziel: Den Tag genießen.

Zu unserer großen Freude gibt es auch in diesem Dorf die Möglichkeit, einige Dinge zu kaufen. Und zu unserer besonders großen Freude gibt es auch kaltes Dosenbier. Um kurz vor Elf stoßen wir zum ersten Mal an und ich erkläre meinen Mitreisenden, dass wir uns heute an Harald Juhnkes Motto für einen perfekten Tag orientieren. Zunächst mal muss ich meinen mehr als 20 Jahre jüngeren Begleitern erzählen, wer Juhnke war. Seine in meiner Generation bekannte Definition eines vollkommenen Tages „Keine Termine und leicht einen sitzen“ gefällt allen und wir stoßen an. Es wird ein toller Tag. Wir toben in den hohen Wellen, spielen Volleyball, Fußball, Basketball, werden sehr lecker von den freundlichen Embera bekocht, spielen mit den Kindern und entspannen in einer Umgebung, die man als paradiesisch beschreiben kann und für mich einer der perfektesten Orte bleiben wird, die ich je besucht habe.

Am nächsten Morgen geht es weiter mit dem Boot. Wir fahren 2-3 Stunden an der malerischen Küste entlang, sehen unzählige Vögel, Schildkröten, die vor uns abtauchen und fliegende Fische, die über das Meer gleiten. Wehmut und Vorfreude mischen sich. Nun geht es zurück in die Zivilisation, aber ich werde auch wieder Kontakt mit meinen Liebsten haben. Meine Familie hat mir gefehlt. Als wir vom Meer den Rio Tuira einfahren und eine Zeit unterwegs sind, bekomme ich zum ersten Mal wieder ein Signal auf mein Handy. Dann der Schock. Ich habe eine Stunde bevor die ersten Bomben in der Ukraine fielen, das Handy ausgeschaltet und das Signal verloren und muss nun verstört feststellen, dass in Europa seit 12 Tagen ein Angriffskrieg auf eine friedliche Nation erfolgt. Ich habe eine fremde Welt betreten, verlasse sie und kehre eine veränderte Welt zurück. Darauf war ich nicht vorbereitet. Die 10-stündige Rückreise verbringe ich größtenteils damit, mit meiner Frau zu schreiben und mir einen Überblick über die Situation in der Ukraine zu verschaffen.
Wieder im Hotel, auf meinem Zimmer, zum ersten Mal seit 12 Tagen wieder völlig für mich, brechen alle Eindrücke und Nachrichten auf mich ein. Ich bin so emotional wie seit Jahren nicht und weine wie seit meiner Kindheit nicht mehr.

Die Wanderung hat mehr mit mir gemacht, als ich erwartete. Ich spüre, dass mich die Reise verändern, mein Leben verändern wird. Der Krieg in der Ukraine ist schrecklich, den Menschen muss bedingungslos geholfen und das Land nach dem hoffentlich baldigen Ende diese Überfalls wieder aufgebaut werden. Dem Klimawandel ist ein Konflikt des Homo Sapiens jedoch völlig egal. Er schreitet, von Menschen verursacht und so intensiv wie seit Millionen Jahren nicht, weiter voran. Wir müssen jetzt entschlossen handeln, um die schlimmsten Folgen zu verhindern. Der Dschungel hat mich vieles gelehrt. Demut vor dem Wunder der Natur, dass wir ein nur ein Teil dieses unglaublich seltenen kosmischen Zufalls „Leben“ sind und vor allem hat mich der Darien Gap gelehrt, dass man mit sehr wenig sehr glücklich sein kann. Das macht mir Mut, denn wir Menschen der sogenannten ersten Welt müssen verzichten lernen, umdenken und begreifen, dass die zügellosen Auswüchse des „immer mehr“ vorbei sind. Ansonsten wird dieser Planet dafür sorgen, dass unsere Spezies nur einen Wimpernschlag lang existierten und keine Zukunft haben wird. Wir Menschen haben so viele unfassbare, wundervolle und kaum zu begreifende Dinge erschaffen und erreicht. Wir sind dazu in der Lage, die Katastrophe zu verhindern. Wir haben das Wissen, die Werkszeuge und wenig, aber noch ausreichend Zeit. Packen wir es also an. Ich bin dabei.

Die Idee, einen weiteren Ruhetag einzurichten gefiel mir sehr gut. Wir haben einen tollen Platz zum Campieren gefunden. Sehr dicht am Fluss und eine schöne Umgebung. Nur Rick ist nicht ganz zufrieden. Er stellt fest, dass unser Camp sehr nah an einer Route liegt, die gerne auch von Schmugglern genutzt wird. Zusammen mit Joe, unserem Agrarökologen aus Göttingen, der kurz vor der Reise noch beruflich im Kongo war, unheimlich interessante Geschichten zu erzählen hat, 35 Kilometer am Stück schwimmen kann und scheinbar jede Pflanze im Dschungel kennt und erklären kann, macht sich unser Guide am frühen Morgen des Ruhetages auf, um nach einem alternativen Standort für uns zu suchen. Kontakt mit den oft bewaffneten und schwer einzuschätzenden Schmugglern will er unbedingt vermeiden. Nach 2 Stunden kehren die beiden zurück. Es gibt zwar eine Alternative, aber wir entscheiden dennoch, auch die nächste Nacht hier zu verbringen. Das ist mir sehr recht. So kann ich meinen total verdreckten und verschlammten Rucksack mal reinigen, die Ausrüstung säubern und mal etwas zur Ruhe kommen. Die Eindrücke dieser Tour brennen sich im Sekundentakt in mein Gedächtnis. All das muss auch mal verarbeitet werden. Ich genieße die Ruhe und nehme mir Zeit, um mit mir allein zu sein. Gehe den Rio Pina entlang, durch den dichten Regen und versuche, meine Gedanken zu sortieren. Ich merke, dass ich dafür auf jeden Fall noch länger als einen Ruhetag im Dschungel benötige.

Wir haben Zeit, uns untereinander weiter kennenzulernen. Jeder bringt hat seine Vita, die ihn oder sie irgendwie an diesen Ort gebracht hat mit. Der Suizid der Mutter, die Trennung der Eltern, die Arbeitslosigkeit, eine schwere Kindheit und Jugend und viele andere Themen werden vertrauensvoll ausgetauscht. Das Team funktioniert nicht nur, wir sind eine echte Gemeinschaft und gehen sehr behutsam miteinander um. Ich erlebe während der gesamten Wanderung nicht einen einzigen Moment, indem es auch nur den Anschein eines Konfliktes oder eine Respektlosigkeit gab. Auch das hat mich sehr beeindruckt.

Voller Motivation und Entschlossenheit und mit der wiedergewonnenen Kraft eines Ruhetages entscheiden wir am Abend, dass wir die restlichen Kilometer bis zum Pazifik nicht an zwei, sondern an einem Tag schaffen wollen. Es ist noch dunkel, als wir am 10. Tag unser Lager abbauen. Plötzlich schreit Florian, unser 30-jähriger IT-Spezialist aus Frankfurt, hell auf. Sofort laufen wir mit unseren eingeschalteten Stirnlampen zu ihm. Er liegt am Boden und hält sich den Arm. Er sagt, ein Skorpion wäre ihm am Bein hochgelaufen. Als Florian ihn wegwischen wollte, habe er zugestochen. Nina, unsere Krankenschwester aus der Nähe von Graz, schaut sich den Arm an, während wir zu dritt versuchen, den Skorpion zu finden. Falls sich Florians Zustand verschlimmern sollte, ist es wichtig, ein Foto von dem Tier zu haben, dass gebissen oder gestochen hat. Nur so können die richtigen Maßnahmen eingeleitet werden. Leider finden wir nichts. Der Übeltäter hat sich aus dem Staub gemacht. Zum Glück hat Florian nicht mehr Symptome als nach einem Wespenstich. Rick erklärt, dass für einen Skorpion gilt: Je größter der Schwanz in Relation zum Körper, desto giftiger. Wieder was gelernt. Hier waren die Relationen anscheinend nicht lebensgefährlich.

Da es Florian nicht besonders schlecht geht, brechen wir auf. Pazifik, wir kommen. Noch einmal will uns der Darien Gap an diesem Tag Demut lehren und uns zeigen, dass es kein Spaziergang ist, ihn zu durchqueren. Wir müssen rund 600 Höhenmeter mit teilweise sehr steilen Passagen bewältigen. Von der Vorfreude und Euphorie bezüglich des nahenden Ziels getrieben, sind wir in 2 Stunden oben angekommen. Lachende und strahlende Gesichter umgeben mich, als wir zum ersten Mal das Meer erblicken. Das Ziel ist scheinbar nah. Allerdings vergessen wir für den Moment, dass wir noch einiges vor uns haben. Zunächst mal einige Kilometer rauf und runter, ohne besonders viele Höhenmeter zu reduzieren. Irgendwann geht es dann aber abwärts. Noch einmal 6 Stunden Matsch, rutschen, konzentrieren, fallen, fluchen und immer wieder kurze Pausen, um nach Luft zu schnappen. Wir sind ungeduldig und der Körper brüllt einem entgegen, dass es jetzt auch wirklich reicht, mit den Anstrengungen.

In der sechsten Stunde sich reduzierender Höhenmeter hören wir wieder den Fluss. Erst ganz leise, so dass man sich nicht sicher ist ob es eventuell der Wind ist, dann aber immer klarer, bis Tobi ruft „Da unten ist Wasser!“. Jetzt noch einmal die letzten Meter keinen Fehler machen, um nicht als der Dämliche dazustehen, der sich auf dem finalen Stück die Knochen gebrochen hat. Wir kommen am Fluss an und gehen Richtung Meer. Plötzlich geht jeder Schritt wie von selbst, denn wir wissen, dass wir auf dem letzten Stück sind. Der Fluss macht eine Biegung und dann der Glücksmoment: Das Grün des Dschungels öffnet sich und wir blicken auf einen palmengesäumten Strand und das Meer. Es ist schwer zu beschreiben, welche Emotionen in dem Moment den Kopf fluteten. Die pure Freude, Glückseligkeit und Erleichterung sind auf jede Fall dabei. Wir werfen die Rucksäcke in den Sand, trennen und von den verschwitzen, schmutzigen Sachen und laufen in die meterhohen Wellen des pazifischen Ozeans. Wir jubeln, lachen und umarmen uns. Es ist geschafft. Wir sind durch den Darien Gap gelaufen. Nur wenige Menschen haben das bisher getan. Es ist etwas Besonders, etwas, das mich noch lange und nachhaltig beschäftigen wird. Ganz sicher wird es auch mein Leben und Denken verändern. Doch an diesem Tag genießen wir erstmal jede Minute. Es gibt frische Kokosnüsse, die wir von den Palmen holen, die Reste unsere Vorräte und ein großes Lagerfeuer am Strand. Wir erzählen uns Geschichten, lassen die Tour Revue passieren und versuchen zu verstehen, was wir alles erlebt haben.

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Um 3.45 Uhr endet die Nacht. Wach war ich schon vorher. Vermutlich war es die Anspannung vor dem, was vor uns lag. Schon in den ersten 7 Tagen war die Anstrengung immer wieder grenzwertig, doch was heute auf uns zukommen sollte, stellte alles in den Schatten. Wir bauen das Camp ab und starten um 5 Uhr. Schon am Abend zuvor hatten wir die Tour und den Tag besprochen. Rick wies uns darauf hin, dass wir sehr früh los müssten, keine Zeit für ein ausgiebiges Frühstück oder sonstiges Zubereiten von Mahlzeiten bleiben würde. Alle sollten sich mit Energieriegeln, Nüssen und Trockenfrüchten durch den Tag bringen. Wir hatten nicht nur 16 Kilometer vor uns, sondern auch über 900 Höhenmeter mit einer Steigung von 45 Grad und mehr. Rick stellte fest, dass das jeden Teilnehmer schon unter normalen Bedingungen an seine Grenzen bringt. Allerdings würde der seit drei Tagen anhaltende Regen und der damit verbundene extrem schlammige Boden die Tagestour zu einer Tortour machen. Und er versprach tatsächlich nicht zu viel. 

Wir starteten mit Stirnlampen im Dunkeln und liefen circa 2 Stunden den Fluss entlang. Das war wie schon in den vergangenen Tagen eine einzige Rutschpartie. Nun kam noch hinzu, dass das Licht der Lampen von nervenden Insekten, insbesondere den schon gestern attackierenden Bremsen, als Einladung verstanden wurde. Die Ruhe der Laufenden wurde nur durch das Fluchen nach einem Biss oder dem Schlagen auf schweißnasse Kleidung unterbrochen. 

Gegen 7 Uhr erreichten wir dann den Punkt, an dem wir die Steigung angehen wollten. Gleichzeitig bis zum Abend die letzte Gelegenheit, die Wasservorräte aufzufüllen. Wir filterten so viel kostbares Nass wie möglich, was natürlich gleichzeitig das zu tragende Gewicht im Rucksack an ein Maximum brachte. Und los ging es. Ich hatte mich für Handschuhe und die etwas robustere Hose für den Tag entschieden, da wir viel klettern mussten und ich mich somit besser vor Dornen und Insekten schützen konnte. Ich kann an dieser Stelle kaum beschreiben wie es ist, wenn man sich 900 Höhenmeter auf sehr schlammigen Boden noch oben kämpft. Zwei Schritte vor, einen rutscht man zurück. Die Trekking Stöcke hatten wir auf ein Minimum der verstellbaren Größe reduziert, nutzen sie wie Eispickel am Gletscher und zogen uns hoch. Immer wieder täuschte man sich, weil eine Wurzel Halt versprach, dann aber beim festen Zugreifen riss oder einfach zur zerbrach. Trotz intensivster Vorbereitung und monatelangem Training war das die totale Grenzerfahrung. Antonia, die seit 25 Jahren mit Diabetes lebt und dennoch eine erfahrene und gute Sportlerin ist, kämpft gegen die Erschöpfung an. Wir wissen bereits, dass sie enormen Biss hat und über ihre Grenzen geht. Allerdings können wir heute keinen Notfall riskieren. Eine Bergung würde uns alle überfordern. Wir bieten ihr an, einen Großteil ihres Gepäcks auf uns zu verteilen, um den Aufstieg zu erleichtern. Nach einigem Zögern nimmt sie an.  

Nach knapp 6 Stunden erreichen wir endlich den Gipfel. Es ist eine Umgebung wie aus einer andern Zeit. Pflanzen und Bäume, die ich so noch nie gesehen habe. Würde jetzt ein Dinosaurier aus dem Buschwerk kommen, er würde besser in diese Umgebung passen als diese merkwürdigen, keuchenden Zweibeiner, die sich mit Powerriegeln und Trockenfrüchten stärken und hastig Wasser aus Schläuchen trinken, um wieder zu Kräften zu kommen. Denn, nach einer kurzen Pause, kommt der Abstieg. Wir müssen wieder runter. Wir brauchen den Fluss und frisches Wasser. Während man beim Aufstieg unter diesen Bedingungen immer wieder rutscht und dann auf dem Bauch landet, ist des beim Runterklettern eine ganz andere Nummer. Hier ist jeder Schritt mit der Gefahr verbunden, metertief zu fallen und sich zu verletzen. Es ist  eine einzige Rutschpartie unter enormer Anspannung. Immer wieder liegt, rutscht oder fällt jemand. Tobi passiert es, dass er sich an einem jungen Baum festhalten will, dieser aufgrund des enorm weichen Bodens dann aber mit ihm zusammen einige Meter Richtung Tag rollt. Selbst die aus Österreich kommende Nina, die die ganze Tour bisher einfach nur gelaufen ist – kein Klagen, kein Sturz, immer ein Lächeln auf den Lippen – ist heute deutlich konzentriert und kann sich der Anziehungskraft nicht immer entziehen. 

In dieser Phase der monströsen Belastung meldet sich Tobi in einer kurzen Pause. Wir hatten vor der Reise vereinbart, dass jeder eine kleine Überraschung für das Team mitbringt, um in Grenzsituationen und bei mentalen Durchhängern für bessere Stimmung zu sorgen. Kyrill hatte uns schon vor einigen Tagen mit leckeren Süßigkeiten verwöhnt, ich hatte mich für verschiedene Gewürze entschieden, um dem einfachen Essen im Dschungel eine zusätzliche Note zu verpassen. Tobi ist frisch aus Kolumbien eingetroffen und hat uns Koka Tee mitgebracht. Wir sollen einfach einen Teebeutel in den Mund stecken, darauf herumkauen und nach einer halben Stunde die Wirkung abwarten. Die Dosis sei nicht gefährlich und der Tee sogar legal, versichert uns Tobi mit einem verschmitzten Lächeln. Keiner überlegt lange. Nach kurzer Zeit haben alle einen Teebeutel mit Kokainanteil im Mund. Niemals in meinem Leben habe ich eine Droge, außer Alkohol, probiert und bin sehr gespannt auf das was passiert. Werde ich den Berg hinunter fliegen können? Durch Regenbögen laufen? Nach 40 Minuten ist meine Zunge und der Mundraum taub, aber der Abstieg immer noch anstrengend wie zuvor. Ich trenne mich von dem Geschenk und gebe es dem Dschungel zurück. Ich nehme dann doch lieber Magnesium und Datteln zum Aufputschen.

Am frühen Abend kommen wir endlich am Fluss an. Ich werfe meinen Rucksack ab und lege mich erstmal in die Strömung, um mich zu erfrischen. Ein herrliches Gefühl. Wir schlagen unser Lager auf und entscheiden, morgen einen Ruhetag einzulegen, um Kräfte für die restlichen Kilometer bis zum Pazifik zu sammeln. Besonders wichtig ist es am Abend, die nassen Schuhe auszuziehen und die Füße zu trocknen, damit sich kein Pilz festsetzt. Ich nutze Babypuder. Das ist ein guter Tipp, um die Haut schnell zu trocknen. Als ich in luftigen Sandalen meine nassen Sachen im bereits dunklen Camp auf eine gespannte Leine hänge, spüre ich einen plötzlichen, intensiven Schmerz in der Zehe. Irgendetwas hat mich gebissen oder gestochen. In der Dunkelheit und da ich mich vor Schreck 2-3 Meter zurückbewegt habe, kann ich nicht mehr erkennen welches Tier sich von mir bedroht fühlte. Es schmerzt und meine Zehe wird taub. Wenn man nicht sieht, was einen verletzt hat, löst das in der Region und bei dem, was dort alles an Getier unterwegs ist, ein ungutes Gefühl aus. Zum Glück lassen die Schmerzen im Laufe der Nacht nach. Die Zehe allerdings bis heute noch an einigen Stellen völlig ohne Gefühl. Trotzdem, Glück gehabt. Hätte schlimmer kommen können.

Total erschöpft schlafe ich sehr früh ein.

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Für die heutigen 13 Kilometer und knapp 200 Höhenmeter werden wir über 8 Stunden brauchen. Das Wetter ist nach wie vor völlig von der Rolle. Heftigster Tropenregen begleitet uns immer wieder durch den Tag. Rick sagt, dass er das zu dieser Zeit noch nie erlebt hat. Das wären die Auswirkungen des Klimawandels und überhaupt nicht gut. Ich werde daran erinnert, warum ich diese Tour mache und was mich motiviert, diese Anstrengungen auf mich zu nehmen. Ich möchte meinen Teil dazu beitragen, die schlimmsten Szenarien des Klimawandels zu verhindern und Geld für Aufforstungs- und Klimaschutzprojekte sammeln. Durch zugesagte Spenden erlaufe ich je Kilometer knapp 400 Euro. Somit werden es heute wieder über 5.000 Euro sein, die ich anschließend mit unserem Verein tree4tree e.V. in Panama und Malawi investieren möchte.
Trotz dieses Anreizes und wirklich intensivster Vorbereitung erlebe ich gegen Mittag meinen ersten echten Tiefpunkt. Bisher erlebten mich alle nur stets bestens gelaunt und als Spaßvogel. Doch am späten Vormittag ist davon nichts mehr da. Ich laufe einfach nur noch, spüre die Anstrengungen und merke, dass meine Kräfte schon ordentlich aufgezehrt sind. Zu den Erschöpfungserscheinungen kommt der nicht enden wollende Regen. Außerdem habe ich eine erste Blase am Zeh. Das wollte ich unbedingt vermeiden und versuche, mich sofort zu verarzten. Bei der Näße kaum möglich. Das Blasenpflaster will gar nicht erst anhaften. Als nehme ich Tape und verbinde einfach zwei Zehen miteinander. Das muss reichen. Zu allem Überfluss verfolgen uns seit dem Start unzählige, sehr große Bremsen. Genau wie bei uns in Deutschland beißen sie sich in die Haut. Und das auch durch die klatschnassen Hemden. Immer wieder flucht man vor sich hin oder hört jemanden aus dem Team durch den Regen schimpfen, wenn einer der Blutsauger zugeschlagen hat.

Meine Rettung ist die Mittagspause. Ich versorge mich mit einer extra Portion Magnesium, einem Proteinriegel und esse dann Reis mit Gemüse. Dazu trinke ich so viel wie ich kann. Nach einigen Minuten merke ich, dass es mir besser geht. Auch das mentale Tief verschwindet und ich fange wieder an, meine Mitreisenden mit meinen wirren Gedanken zu belästigen, so dass die sich keine Sorgen mehr um mich machen müssen und wissen, dass alles ok ist. Am Nachmittag laufen wir einige schwere und steile, rutschige Passagen. Dann passiert ist. Max verliert den Halt, rutscht weg und fällt 2 bis 3 Meter den Abhang hinunter. Ich sehe wie er mit dem Rucksack und Rücken einen großen Stein erwischt und befürchte Schlimmstes. Wir halten inne und sprechen ihn an. Ein Lächeln und „Allet jut“ kommt aus dem Berliner Draufgänger. Außer ein paar blauen Flecken bleibt es bei dem Schreck. Glück gehabt. Das sah viel schlimmer aus.

Als wir unser Lager errichten wollen, schüttet es wie aus Eimern. Das lässt unsere Laune nicht leiden und wir machen unsere Späße und Videos, um auch diese Momente zu dokumentieren. Es ist echt ein tolles Team, das sich gegenseitig stützt und gute Stimmung verbreitet. Dennoch müssen nun auch alle an morgen denken. Wir wissen, dass der achte Tag mit der größten Herausforderung auf uns wartet. Aufgrund der massiven Regenfälle bereitet uns Rick darauf vor, dass wir 13-14 Stunden fast ohne Pause hart arbeiten werden. Alle gehen kurz nach Einbruch der Dunkelheit in die Hängematten, um den Körper maximale Erholung zu gönnen. Die werden wir morgen brauchen und noch viel mehr.

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Um 4 Uhr früh werde ich von zwei Hähnen geweckt, die sich in aller Herrgottsfrühe lautstark duellieren. Das macht aber nichts. Wenn man abends zwischen 20 und 21 Uhr schlafen geht, kann man auch um 4 Uhr aufstehen. Der Tag beginnt mit guten Nachrichten. Antonia geht es wieder richtig gut und auch Florian und Tobi fühlen sich besser. Die Medikamente wirken und bringen sie wieder zurück in die Spur.

Wir packen unsere Sachen und bekommen Frühstück im Dorf. Es gibt Haferbrei, Würstchen und frittierte Teigtaschen, die für uns bereitgestellt werden. Als wir uns kurz nach Tagesanbruch auf den Weg machen ist das ganz Dorf auf den Beinen, um uns bei der Abreise zu beobachten. Sie winken nicht, lachen nicht, es gibt keine Verabschiedung. Irritiert frage ich Rick ob wir uns falsch verhalten oder sie auf irgendeine Art verärgert haben. Er verneint und erklärt mir, dass solche Dinge wie „Bitte“, „Danke“ und Verabschiedungen bei den Embera keine große kulturelle Rolle spielen. Das beruhigt mich ein wenig.

Heute haben wir 17 km Dschungel vor uns. Mit dem 6. Tag beginnt der deutlich härtere Teil der Tour. Mehr Kilometer und mehr Höhenmeter sind zu absolvieren. Die Zeit für Pausen wird kürzer. Aus dem Dorf Condoto begleiten uns 2 Embera, die Rick dabei unterstützen sollen, den Weg zum Pazifik zu finden. Marco und Calbin. Da wir durch ihr Schutzgebiet laufen, ist es ebenfalls von Vorteil, von Embera begleitet zu werden. Wir werden uns mit den beiden, im Rahmen des emotionalen Horizontes der Embera-Kultur, prächtig verstehen und anfreunden. Rick macht ungewöhnlich viel Tempo und fordert uns. Mehrfach beobachte ich ihn, wie er auf seine Technik schaut und anscheinend Informationen liest. Ich spreche ihn an. Er hält an und berichtet, dass Regen auf uns zukommt. Das sei für die aktuelle Trockenzeit sehr ungewöhnlich. Davon unbeeindruckt denke ich mir, dass es doch erfrischend und abkühlend sei, wenn mal ein Schauer auf uns nieder geht. Ich habe ja keine Ahnung. Schon kurze Zeit später wird mir klar, was Rick beunruhigt hat. Der Himmel öffnet schlagartig seine Schleusen. Zunächst wird es einfach laut. Man hört ein Rauschen aus dem Blätterdach. Dann bahnt sich das Wasser seinen Weg. Unvorstellbare Mengen prasseln auf uns nieder. Zunächst sind wir alle fröhlich machen Späße und singen im Regen. Allerdings hat der Regen drei Konsequenzen:

  1. Die Flüsse schwellen an, so dass das Wasser bei den häufigen Durchquerungen nicht nur mit zum Knie, sondern nun teilweise bis zur Hüfte und darüber fließt. Mit der Strömung wird es dann nicht einfacher, die Fluten zu durchlaufen.
  2. Die Rucksäcke und Inhalte saugen das Wasser auf und aus den rund 25 Kilogramm Gewicht werden schnell ein paar mehr.
  3. Der Boden wird matschig und sehr rutschig. Man kommt schwerer voran und jeder Stein, jeder Baum und jede Wurzel sind nun extrem glatt.

Das führt dazu, dass wir noch vorsichtiger gehen müssen. Es gibt keine richtigen Weg. Überall Laub und darunter rutschige Steine und Wurzeln. Wenn wir durch die Flüsse gehen, können wir aufgrund des starken Regens nun überhaupt nicht mehr erkennen wie der Untergrund beschaffen ist. Man geht wie auf rohen Eiern und ist sehr froh, die Trekking Stöcke als 3. und 4. Bein dabei zu haben.

Unser Camp erreichen wir am späten Nachmittag. Eine tolle Stelle, auch wenn wir uns den Weg zwischen Fluss und Lager mit der Machete erstmal frei schlagen müssen.
Leider ist meine Hängematte und vor allem auch mein Tropenschlafsack naß. Es schläft sich etwas unangenehm und ich versuche, die Feuchtigkeit mit meiner Körperwärme loszuwerden. Das dauert bis in die Morgenstunden und sorgt für ein erstes Frösteln im Regenwald. Damit hatte ich auch nicht gerechnet.

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Die Entscheidung, im Embera Dorf Condota einen Tag Rast einzulegen, war genau richtig. Nachdem sich Alex und Carsten gestern vom Team verabschiedet haben, sind wir jetzt noch sieben Teilnehmer. Davon haben 3 Durchfall-Erkrankungen. Das ist zu viel. Antonia geht es noch am besten. Florian ist den ganzen Tag nur zu sehen, wenn er wie ein Zombie zum Wasser holen oder auf das gemeinschaftliche Toilettenhaus geht. Die Toilette ist nicht anderes ein ummauertes Loch. Hier ist es von Vorteil, wenn man lange die Luft anhalten kann. Am meisten Sorgen macht Tobi. Sein Erbrochenes war teilweise mit Blut versetzt. Nach Beratung und sehr detaillierter, medizinischer Analyse durch Rick, entschied er sich bereits am Vorabend, Penicillin zu nehmen. Was anderes scheint nicht wirklich zu helfen.

Zum Glück geht es mir gut und ich nutze die Möglichkeit, Kontakt mit den Embera aufzunehmen. Ich fange mit den Kindern an. Im Dorf gibt es einen kleinen Kiosk. Eine Embera verkauft quasi aus dem Haus ein paar Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs. Es gibt auch Lutscher. Also signalisiere ich den Kids, dass sie mir folgen sollen und versorge alle mit Lutschern. Von jetzt an lächeln die Kleinen, wenn sie mich sehen.
Ich komme mit Sabien in Kontakt. Er ist der Fischer des Dorfs. Er bietet uns an, dass er uns zeigt, wie man im Fluss fischt. Gerne folge ich der Einladung. Sabien hat eine kreisrunde Taucherbrille und einen angespitzten Metallstab, der mit einem Gummiband versehen ist. Es ist eine einfache Harpune. Er zeigt uns, wie er es macht und schon nach wenigen Minuten hat er einen Krebs erwischt. Jetzt soll ich es probieren. Auch Joe traut sich. Es ist gar nicht so einfach. Die Strömung im Fluss, Fischer anpeilen und aufpassen, dass man Joe nicht aus Versehen trifft. Nach einiger Zeit wird man etwas sicherer. Ich erwische einen kleinen Welz. Er ist viel zu klein und sofort tut es mir leid. Der Jagdinstinkt hatte mich im Griff. Ich versuche, etwas Größeres zu erwischen, aber die Fische sind alle recht klein. Vermutlich haben sie hier im Moment alles Brauch- und Essbare bereits gefangen. Trotzdem, eine coole Erfahrung.

Wieder in Condoto frage ich, ob es möglich sein, sich mit der traditionellen Bemalung der Embera versehen zu lassen. Ich werde aufgefordert, mit in ein Haus der Indigenen zu kommen. Dort schaukeln zwei Säuglinge friedlich schlafend in der Hängematte, ein Mädchen füttert ein in einer Schüssel sitzendes Papageien Baby, drei Frauen unterhalten sich, während eine Fleischstücke zertrennt und schneidet. Eine andere mixt aus einer giftigen Frucht und Asche eine Farbe und schneidet ein Holzstück so zurecht, dass es etwa Streichholzgröße erreicht. Sie taucht den Span in die Farbe und beginnt mit der Bemalung. Es sind einfache „Tattoos“, die nach wenigen Tagen verschwinden, so hoffe ich zumindest. Ich bekomme noch eine leckere Palmfrucht angeboten, die mit Salz gegessen wird. Sehr lecker. Mit meinem sehr schlechten Spanisch unterhalten wir uns auf einfachem Niveau. Ich erzähle, woher ich komme, über meine Familie und meinen Beruf. Sie sind sehr interessiert. Auffällig ist die Entspannung, die alle ausstrahlen. Obwohl es vom Haus einige Meter steil hinunter geht, keine Befestigung die Randbereiche schützt, turnen und klettern verschiedene, sehr kleine Kinder herum. Keine Warnung, kein Umsorgen oder Ermahnen. Man lässt sie einfach und es scheint ok zu sein. Wieder etwas, dass man hier lernen kann. „Bleib mal lockerer, Klaus.“

Ich bedanke mich, gebe ein paar Dollar und laufe durchs Dorf. Es fällt auf, wie viel Müll herum liegt. Plastik, Dosen und sogar ein Schildkröten Panzer liegen herum. Der artige Deutsche will am liebsten sofort mit dem Aufräumen beginnen. Ich frage Rick, ob es die Embera nicht stört, wenn der Müll überall herumliegt. Er erklärt mir, dass sie in ihrer Kultur gewohnt sind, alles was sie gebrauchen auch wieder in die Natur werfen zu können. Das war Jahrhunderte so. Allerdings lernen sie mittlerweile auch, dass die Verpackungen der Zivilisation nicht so schnell wieder zu einem Teil der Natur werden. Das Verhalten der Embera zu kritisieren steht mir als Europäer gar nicht zu. Der CO2-Fußabdruck eines Embera beträgt nur ein Bruchteil des unseren. Wir haben die Gärten schön sauber und entsorgen dafür unseren Müll in Ghana und Malaysia. Die Embera essen selten Fleisch, wir konsumieren es, als käme es aus dem Wasserhahn. Würden wir alle so leben wie die Indigenen, einschl. des im Dorf herumliegenden Mülls, es ginge dem Planeten deutlich besser.

Einige Mädchen kommen auf mich zu und sagen, dass sie meine Hilfe brauchen. Ich laufe ihnen hinterher und werde zu einer Wiese geführt auf der einige Jungs mit einem alten, platten Fußball spielen. Sie machen mir klar, dass sie noch nie ein Tor gegen die Jungs geschossen haben. So geht das natürlich nicht. Ich verstärke die Mädels und nach einer Energieleistung und mit vollem Einsatz gelingt es uns. Die Jungs lernen, dass auch sie schlagbar sind. Wir klatschen uns ab und ich gehe erstmal duschen. Dusche heißt eine Regentonne mit Wasser in der ein Gefäß schwimmt, mit dem man immer wieder Wasser über den Körper gießt. Mir reicht das.

Die Nacht verbringe ich in der Hängematte, die allerdings in der Küche einer Eingeborenen Familie hängt. Dort wurden Kyrill und ich untergebracht. Ein Affe kommt uns besuchen und macht sich über eine der in der Küche herumliegenden Bananen her. Nachts flattern einige Fledermäuse ständig um mich herum und jagen Insekten. Als ich einmal aufstehe, die Stirnlampe einschalte, um mich ein wenig zu erleichtern, entdecke ich, dass im ganzen Dorf jede Menge Frösche herumlaufen. Teilweise größer als meine Hand. Sie kümmern sich um die Kakerlaken, wie ich erfahre. Nett von ihnen.

Früh schlafen wir ein. Ab morgen geht es in die 2. Hälfte der Tour. Da warten dann die Grenzerfahrungen.

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Ich habe schlecht geschlafen. Die Nacht war überraschend kühl. Die Hängematte und ein sehr dünner Tropenschlafsack helfen nicht viel. Außerdem überlegt man sich, mitten im Dschungel hängend, zweimal, ob man nachts mal kurz an den Baum geht und seine Notdurft verrichtet. Aus dem Schlafsack, aus der Hängematte, Stirnlampe auf, Schuhe nach ungewünschten Bewohnern absuchen, langsam gehen und gucken, wo man hintritt. Danach ist man hellwach und schläft so schnell nicht wieder ein.

Zum Frühstück bestätigt Alex, dass er die Tour abbrechen wird. Eine mutige und vernünftige Entscheidung. Viele würden aus Angst vor der Enttäuschung die Gefahren ignorieren und weitergehen. Antonia geht es zum Glück etwas besser. Dafür macht mir Tobi umso mehr Sorgen. Es ist schlimmer geworden. Er muss sich mehrfach übergeben, will aber nicht abbrechen. Nun meldet sich auch Florian, ein total netter ITler aus Frankfurt. Er hat ebenfalls Symptome und sieht aus, als hätte er die Nacht mit Udo Lindenberg durchgemacht. Ich beobachte Carsten. Er will weitermachen. Das gefällt mir gar nicht.

Heute gehen wir über 12 Kilometer durch das dichte Grün. Es ist der bisher anstrengendste Tag. Viele, sehr steile Anstiege. Höhenmeter zu genüge. Carsten ist kaum noch ansprechbar. Wirkt abwesend und wirft sich bei jeder Gelegenheit längsseits auf den Boden. Das ist schon wegen der Insekten und Ameisen keine gute Idee. Rick und Kyrill trommeln alle zusammen und weisen noch einmal sehr deutlich darauf hin, dass im nächsten Dorf, das wir erreichen werden, die letzte wirklich gut Gelegenheit besteht, zu evakuieren. Endlich ist es soweit. Auch Carsten sieht ein, dass es absolut keinen Sinn mehr macht. Er gibt seinen Widerstand auf kündigt seinen Ausstieg an. Es ist nichts gegen ihn persönlich. Rückblickend auf die Tour weiß ich jedoch, dass wir ihn niemals bis ins Ziel gebracht hätten.

Dennoch muss die Distanz zum Dorf Condoto geschafft werden.  Wir machen immer wieder Pausen, um den Geschwächten Zeit zum Verschnaufen zu geben. Viel trinken ist jetzt noch wichtiger.
Ich beobachte jede Menge Blattschneiderameisen, die sich eine Art Autobahn durch den Waldboden schaffen. Kein Laub, der ganze Weg komplett sauber und glatt als wär eine Straßenkehrmaschine drüber gefahren. Beeindruckende Tier. Ihre Pfade kreuzen immer wieder unseren Weg und ihre tänzelnden Bewegungen mit abgetrennten Blattteilen, die sie in den Bau schleppen, um damit Pilzkulturen zu züchten, von denen sie sich ernähren, werden zum gewohnten Anblick.

Wir erreichen den Punkt, von dem Alex und Carsten evakuiert werden sollen. Ein Kanu der Embera wartet bereits auf sie. Rick hat es mit dem Satellitentelefon organisiert. Ein paar Hütten der Embera säumen die Anlegestelle. Als wir dort ankommen übergibt sich Carsten vor Anstrengung direkt vor einer der Hütten. Zum Glück reagieren die Indigenen so, als wäre es das normalste der Welt, dass da ein Gringo aus dem Dschungel kriecht und ihnen vor die Tür kotzt. Alex und Carsten, begleitet von Segundo machen sich auf den Weg. Wir verabschieden sie und hoffen, dass sie gut in Panama City ankommen.

Wir entscheiden, im Dorf Condoto einen Tag Pause zu machen, damit die Kranken sich erholen können. Außerdem müssen wir warten, bis Segundo zurück kommt.

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Die erste Nacht, in der Hängematte irgendwo im Regenwald liegend, war besser als gedacht. Ich war zwar einige Male wach, aber man liegt recht komfortabel in dem ultraleichten Stoff. Da ich schon sehr früh schlafen ging, wachte ich auch sehr früh auf. Im Dunkel liegend fragte ich mich, wer wohl das arme Schwein ist, das festlegt, welcher Insektenbiss oder -stich auf der Schmerzskala, die von 1.0 bis 4.0 reicht, entscheidet, wie schlimm das jeweilige Krabbeltier sein Opfer peinigen kann. Ein Job, um den sich bestimmt nicht viele bewerben. Ich habe auch erste Bisse und Stiche. Trotz der langen Kleindung und Spray lässt sich das nicht ganz vermeiden.
Heute werden wir etwas mehr als zehn Kilometer laufen und dabei rund 250 Höhenmeter zurücklegen. Für mich werde ich diesen Tag als den entspanntesten der Tour in Erinnerung behalten. Es sind nicht die Anstrengungen, die den Tag prägen, sondern andere Dinge. Wir hören zum ersten Mal Brüllaffen. Sie haben einen 25 Mal größeren Kehlkopf als der Mensch. Rick erklärt uns, dass der Brüllaffe recht faul ist. Aufgrund seines extrem lauten Organs, muss er nicht ständig sein Territorium ablaufen, um es gegen Artgenossen zu verteidigen. Er brüllt diese einfach über Kilometer Distanzen an und signalisiert, dass hier schon jemand das Sagen, bzw. das Brüllen hat. Die Geräuschpegel sind atemberaubend und beeindruckend. Leider sehen wir die Tier nicht, da unsere Route ihren Standort um gut zweihundert Meter verfehlt.

Während einer Pause am Fluß kommt es dann zum ersten Mal zu einer Situation, die wir vermeiden wollten. Der Darien gilt vor allen deshalb als der gefährlichste Dschungel weltweit, weil sich dort besonders viele bewaffnete Schmuggler, Banden und kolumbianische FARC Rebellen aufhalten. Unsere Route haben wir so gelegt, um ihnen bestmöglich aus dem Weg zu gehen. Nun aber, am Fluss sitzend und mit dem Essen in der Hand kommen plötzlich 3 Fremde auf uns zu. Einer trägt ein Gewehr, der nächste hält eine Machete in der Hand. Für kurze Zeit bin ich sehr aufgeregt, bleibe aber ruhig. Sobald sie näher kommen, tun wir das, was wir uns für solche Fälle vorgenommen haben. Nett lächeln und einfach grüßen. Bloß keine Fotos oder Fragen. Und siehe da. Auch sie lächeln, grüßen und gehen weiter. Wir wissen nicht ob es Goldsucher, Jäger oder Schmuggler waren. Wir beschließen jedoch, unser Lager am Abend nicht unbewacht zu lassen, um die Unbekannten nicht unnötig einzuladen, die Kaffeekasse mit unseren Wertsachen aufzubessern.

Es gibt weitere Ereignisse. Während mir und anderen die Tour dieses Tages als gut machbar in Erinnerung bleibt, sieht es bei einigen anderen völlig entgegengesetzt aus. Carsten liegt immer wieder und ringt nach Luft. An Stellen, die vom Anspruch gut zu bewältigen sind und keine großen Pausen erfordern. Ich frage mich, wie um Himmels Willen er den zweiten Teil der Tour schaffen wird. Dort sind bis zu 1.000 Höhenmeter mit enormen Schwierigkeitsgraden zu bewältigen. Dann der Schock für mich. Carsten erzählt, dass er sich für Touren, die er bucht nie vorbereitet. Er kauft die Ausrüstung und lässt sich überraschen. Ich ringe um Fassung und muss mich zurückhalten, nicht direkt den Brüllaffen keine Konkurrenz zu machen. Von mir aus kann er für sich alleine naive, unvernünftige und dumme Entscheidungen treffen. Hier ist jedoch ein ganzes Team betroffen. Sich auf eine solche Tour nicht vorzubereiten ist verantwortungslos und maximal egoistisch. Sollte er sich verletzen oder gar nicht mehr können müssten wir nicht nur sein Gewicht übernehmen, sondern im schlimmsten Fall auch noch ihn. Im Notfall macht man das. Selbstverständlich. Aber bei Carsten ist das eine Notsituation mit Ansage. Niemals kommt er die eintausend Höhenmeter hoch. Nicht unter diesen Bedingungen. Ich versuche, ihm ruhig klarzumachen, dass er einen großen Fehler begangen hat, hier mitzugehen und wir noch Herausforderungen vor uns haben, gegen die die ersten beiden Tage ein lockerer Aufgalopp sind. Er meint, er wird das schon irgendwie schaffen, es dürfe halt nur nicht so hoch gehen. Ich beiße mir auf die Unterlippe und entferne mich von ihm.

Dann die nächsten Hiobsbotschaften. Tobias und Antonia haben Magen-, Darmprobleme. Nicht gut. Doch die schlechten Neuigkeiten reißen nicht ab. Alex hat einen Corona Test gemacht und ist positiv. Ich hatte so sehr gehofft, während der Tour nicht an dieses Virus denken zu müssen. Nach zwei Jahren endlich mal vor Covid zu fliehen. Das hatte sich nun erledigt. Das gesamt Team versammelt sich und berät. Wir haben fünf Leute dabei, darunter ich, die in den letzten Wochen positiv waren und somit genesen sind. Für uns ist es ok und wir signalisieren schnell, dass es ok ist, wenn Alex weitermachen will. Entscheiden müssen letztendlich aber diejenigen, die sich bei Alex mit deutlich größerer Wahrscheinlichkeit anstecken und bei Symptomen große Probleme mit den körperlichen Herausforderungen der Tour bekommen können. Nicht zuletzt die Gefahr von Langzeitschäden oder einer Herzmuskelentzündung. Am Ende sind alle der Meinung, dass es ok ist, wenn Alex weitermachen will. Er soll allerdings Abstand halten und möglichst nur seine Gegenstände anfassen.
Alex selbst hat Zweifel. Er fühlt sich immer noch nicht besser. Hat Sorge vor den Folgen und Gefahren von Corona. Er weiß nicht, welche Variante ihn plagt.
Rick ergreift das Wort und teilt mit, dass morgen der einzige Tag ist, an dem es eine Chance gäbe, einigermaßen unkompliziert zu evakuieren. Immer noch ein 2 Tagestrip mit verschiedenen Kanus, Booten und der Hilfe der Embera. Auch müsste Segunda mit, um den Ablauf und die Ankunft sicher zu stellen. Ab dem 5. Tag, so legt Rick nach, sei es ein „Point of no Return“. Selbst ein Helikopter könne kaum helfen, weil wir tagelang unter dichtestem Baumbestand laufen. Dort kann nix landen oder abgeseilt werden. Mal abgesehen von den enormen Kosten, selbst wenn es ginge. Die Stimmung ist angespannt. Die schlagartige Masse der Probleme und Sorgen lässt uns nicht so gut gelaunt in die zweite Nacht gehen. Morgen werden einige Entscheidungen zu treffen sein. Ich hoffe, dass es den Kranken besser gehen wird, Alex in sich hinein fühlt und bei Carsten wünsche ich mir inständig, dass er abbricht. Ansonsten sehr ich ein Konfliktpotential, das die Macher des RTL Dschungelcamps vor Neid erblassen lässt.

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Meine erste Nacht in der Hängematte endet um 4 Uhr mit dem leisen Piepen der Weckfunktion meiner Armbanduhr. Ich tippe die anderen nach und nach an und zusammen schleichen wir zur Hängematte von Antonia, die heute ihren Geburtstag feiert. Wir bringen ihr ein Ständchen, wobei der eine oder andere kaum in der Lage ist, um diese Zeit zu singen. Antonia freut sich dennoch sehr.
Wir kümmern uns um die Morgenhygiene, bauen unser Camp ab und verstauen unsere Sachen im Rucksack. Um 5 Uhr gibt es Frühstück. Frittierte Teigtaschen mit Wurst vom Vortag. Ich habe für die Wanderung beschlossen, nicht auf meine ansonsten überwiegend vegane Ernährung zu bestehen. Ich brauche die Kalorien und kann es mir nicht erlauben, Teile der Mahlzeit wegzulassen. Außerdem ist Fleisch bei den Embera etwas Besonderes und die Zurückweisen gilt als unhöflich. Wer so ein Abenteuer auf sich nimmt, muss Kompromisse eingehen.


Um Punkt sechs Uhr geht es los. Entgegen der ersten Vermutung, kommen wir doch mit den Kanus weiter obwohl das Wasser im Fluss sehr niedrig ist. Nach ca. 1,5 Stunden erreichen wir ein weiteres Embera Dorf. Hier steigen wir, von den Einwohnern beäugt, aus und erledigen letzte Kontrollen an der Ausrüstung und den Rucksäcken. Zwei Polizisten in Armee Uniform kontrollieren die Papiere. Rick hat die Genehmigung, durch das Embera Gebiet laufen zu dürfen und los geht es. Die Polizisten begleiten uns noch bis zum Beginn des Dschungel Pfades und verabschieden uns „Faust an Faust“. Man sieht ihnen an, dass sie wohl nicht nachvollziehen können, was wir und warum wir das tun.


Wir nutzen zunächst einen schmalen, unebenen Weg, der parallel zum Fluss führt und tauchen dann in den Darien ein. Erst am Pazifischen Ozean werden wir das geheimnisvolle, wenig erforschte Regenwald Gebiet wieder verlassen. Schon nach wenigen Minuten spüre ich den deutlichen Unterschied zwischen Teutoburger Wald und Tropen. Ich bin komplett naß. Die Hitze und Luftfeuchtigkeit leisten ganze Arbeit. Nach etwa einer Stunde bin ich so durchgeschwitzt, dass mir der Schweiß am Ellbogen in nicht heruntertropft, sondern wie am schwach aufgedrehten Wasserhahn läuft. Die anderen haben ihren Spaß damit. Mit meinen 4,5 Litern Wasservorrat trinke ich gegen diese Entwicklung an. Obwohl ich stark schwitze habe ich konditionell keine Probleme. Der Puls ist überschaubar und ich ringe nicht nach Luft. Anders ist es bei Antonia. Es liegt nicht an ihrem Geburtstag, sondern wohl daran, dass sie das erste Mal in den Tropen ist. Fit ist die Frau. Sie ist im letzten Jahr einmal komplett durch Deutschland gelaufen und hat dabei 1.600 Km zurück gelegt. Nun aber, kämpft sie mit den besonderen und ungewohnten Bedingungen. Mehrfach halten wir, damit sie sich etwas erholen kann. Alex, 30 Jahre, aus Berlin, hat ebenfalls leichte Probleme. Er hat Erkältungssymptome. Das macht ihm etwas zu schaffen und er wirkt besorgt. Die größten Probleme hat jedoch Carsten aus Dresden. Er ist erst am Abend vor dem Start aus Deutschland angereist und scheint enorm unter dem Jetlag und der Klimaumstellung zu leiden. Immer wieder liegt er am Boden und ringt nach Luft. Ich entscheide mich, mit zwei weitern Teilnehmern, ihm einen Teil seines Gewichtes abzunehmen, damit er überhaupt durch den Tag kommt. Er hat starke Probleme, sobald wir Höhenmeter machen.


Nach 12 Kilometern und 400 Höhenmetern errichten wir unser erstes Camp im Dschungel. Wir haben einen wundervollen Platz gefunden. Direkt am Fluss, der uns traumhafte Badebedingungen schenkt. Die Stimmung ist super. Wir springen in Unterhose in die erfrischenden Fluten. Herrlich! Ich habe am Abend „Küchendienst“ und bereite mit unserm Koch „Segundo“ Spaghetti mit Thunfisch vor. Das Kochen mit Segundo ist ein Erlebnis. Er ist die absolute Ruhe und Perfektion in Person. Obwohl unter einfachsten Bedingungen arbeitend, achtet er peinlich genau die richtigen Maßeinheiten und erklärt einem nebenbei die Konjugation diverser spanischer Verben, die ich leider immer noch in der Grundform drauf habe, weil mir zu wenig Zeit blieb, mehr zu lernen. Wir alle werden Segundo und seine Art im Laufe der nächsten Tage tief in unser Herz schließen.
Beim Abendessen unterhalten wir uns über die erste Etappe. Wir sahen einen Skorpion, hatten erst Bekanntschaft mit der „Bullet Ant“, eine Ameise, die den Ruf genießt, den schmerzhaftesten Stich in der Insektenwelt für sich zu beanspruchen. Wir alle haben einen Heidenrespekt vor dem Tierchen und warnen uns gegenseitig, sobald ein Exemplar gesichtet wird. Das war heute mehrfach der Fall. Außerdem fand Rick die Reste eines Faultiers und war der Meinung, dass ein Puma hier am Werk war.


Dann die große Überraschung nach dem Essen. Rick und die beiden Embera haben, wie auch immer sie das im Dschungel angestellt haben, einen Kuchen für Antonia gebacken. Frisch und warm stürzen wir uns auf den leckeren Nachtisch und lassen Antonia erneut hochleben. Jetzt ist der Gesang deutlich lauter. Gegen 18.30 Uhr wird es schnell dunkel. Max, ein 23-jähriger sehr sympathischer Draufgänger aus Berlin und Tobias, 28, aus Saarbrücken, der uns mit seiner 360 Grad Kamera die besten Aufnahmen der Reise liefern wird, locken mich aus meiner Hängematte, um im Dunkeln und mit der Stirnlampe bewaffnet auf eine kleine Nachtwanderung zu gehen. Die lohnt sich. Nachts kommen eine Menge Tiere aus den Verstecken. Unzählige Spinnen, Skorpione, Frösche, Schaben und auch 2 Schlangen werden entdeckt. Wir werden übermütig und ich ticke eine mittelgroße Spinne, die der berüchtigten, tödlichen Bananen- oder Kammspinne ähnlich sieht, mit einem dünnen Stock an, um zu sehen wie sie reagiert. Sofort attackiert die achtbeinige Gefahr mit einem spürbaren Stoß und Biss den Stock und geht bedrohlich auf uns zu. Das reicht uns fürs Erste und wir leiten die Bettruhe ein.


Die Nacht im Dschungel ist dunkel. Es ist so dunkel, dass man die Hand nicht vor Augen erkennen kann. Nur hin und wieder leuchtet ein Glühwürmchen auf. In der Hängematte liegend, lausche ich den Geräuschen der Nacht und schlafe zufrieden und glücklich ein. So entspannt und problemlos wird es leider nicht weitergehen, aber das konnte ich an diesem Abend noch nicht wissen.

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Nach 8 Monaten Vorbereitung, zahlreichen Trainings und intensiver Planung geht es nun endlich los. In den nächsten 12 Tagen erwartet mich das größte Abenteuer meines Lebens. Meine hohen Erwartungen an die Wanderung werden nicht zur erfüllt, sondern übertroffen. Ich werde über atemberaubende Erlebnisse berichten können. Eine einzigartige, intakte Natur, wunderschöne Landschaften, Kontakte mit den indigenen Embera, maximale Erschöpfung, unheimliche Begegnungen mit Bewaffneten, zwei Evakuierungen von Teammitgliedern, Bissverletzungen, Stürze, Spinnen- und Ameisenattacken, Verwundungen und den Schock, nach der Rückkehr eine veränderte Welt vorzufinden. Am Tag vor dem Aufbruch kam ich mit einem Taxifahrer der Millionenmetropole Panama City ins Gespräch. Ich fragte ihn, was er vom Darien Gap halten würde. Seine Antwort war: „No one goes trough the Darien Gap. That is too dangerous“. Meine Anspannung nahm zu.

Nachdem wir am Abend zuvor mit allen Teilnehmern eine letzte Besprechung im Hotel abgehalten haben, geht es um 5 Uhr morgens los. In der Hotellobby werden an alle Hängematten und Tarps verteilt. Ein Tarp ist eine Überdachung und schützt gegen Regen und Sonnenstrahlen. Unser Team besteht aus neun Teilnehmern. Eine zehnte Teilnehmerin hat kurz vor dem Start abgesagt. Sie fühlte sich nicht fit genug für die Tour. Ich bin mit Abstand der Älteste der Gruppe. Der nächst jüngere ist fast 20 Jahre nach mir geboren. Wir sind 7 Männer und 2 Frauen. Dazu kommt unser Teamleiter, Kyrill. Ein durchtrainierter Kletterer, Sportfreak und Parcours-Spezialist. Angeführt wird die ganz Gruppe von Rick Morales. Er ist Panamaer, geht seit 21 Jahren in den Dschungel und ist der beste Guide, den man für so eine Unternehmung bekommen kann.
Mit dem Bus fahren wir etwa 5 Stunden von Panama City Richtung Kolumbien die Panamericana entlang, die längste Straße der Welt, die von Alaska bis Feuerland führt und nur auf einem kleinen, ca. 100 Kilometer langen Stück von einem undurchdringlichen Dschungel unterbrochen wird. Dem Darien Gap. Genau das ist unser Ziel. Durch verschiedene Kontrollpunkte schwer bewaffneter Polizeieinheiten werden wir zum ersten Mal daran erinnert, dass die Region vor allem bei Schmugglern beliebt und von tausenden Flüchtlingen genutzt wird. Denen wollen wir möglichst nicht begegnen.

In Porto Quimba steigen wir auf ein Motorboot um. Die wenigen Einheimischen, die auf ein Boot als Transfermittel warten, beobachten uns aufmerksam und überlegen, was wir wohl vorhaben. Außer unseren mit Ausrüstung versehenen Rucksäcken werden auch Vorräte verladen. Vor allem Reis, Nudeln, Bohnen und Konservenfleisch.
Wir fahren den Rio Iglesias entlang und dann weiter auf dem Rio Toyde, bis der Wasserstand zu niedrig ist. Wir wechseln auf 3 Kanus der einheimischen Embera, die an einer verabredeten Stelle auf uns warten und uns weitere eineinhalb Stunden in den Darien Gap befördern. Die Vegetation ist wunderschön. Grün, so weit das Auge reicht, Krokodile huschen ins Wasser, verschiedene Vogelarten beobachten uns aus sicherer Entfernung und hin und wieder eine Hütte der Einheimischen. Wir kommen endlich in El Bacao an. Ein 150 Seelen Dorf der Embera. Dort werden wir die Nacht verbringen, bevor wir uns auf den Weg machen.

Die Embera wirken distanziert, schüchtern und sind zunächst schwer einzuschätzen.
Wir bekommen eine Hütte zugewiesen, in der wir uns einrichten und unsere Hängematten aufhängen dürfen. Rick unterweist uns darin, eine Hängematte und das Tarp aufzuhängen, ohne dass es vorab den Boden berührt. Außerdem gibt es eine sehr amüsante Einweisung darin, wie man im Dschungel das große Geschäft verrichtet. Es wird ein “Shit hole“ ausgegraben und außerdem sollte man das immer in der Nähe eines Baumes machen, erklärt er professionell. So kann man sich festhalten und erlebt keinen Reinfall, im wahrsten Sinne des Wortes.
Wir sind gerade dabei, unsere Schlafplätze einzurichten, als Kyrill mit blutender Wade auftaucht und das Erste Hilfe Pack auspackt. Ein Hund der Embera hat ihn gebissen. Er versorgt die Wunde und wir hoffen, dass sie sich nicht entzündet. Das passiert im Regenwald sehr schnell. Außerdem verheilt eine Verletzung enorm langsam und wird gerne von Parasiten zur Eiablage befallen. Kein guter Start. Ein Hundebiss hatte keiner von uns auf der Rechnung, als es um die Gefahren der Reise ging. Als nächstes verteilen wir mit Hilfe einer kleinen Handwaage die Vorräte gerecht auf alle Teilnehmer. Jeder hat nun ca. 23-25 Kilo Gewicht im Rucksack.

Als alle Pflichten erledigt und Vorbereitungen getroffen sind, hören wir vertraute Geräusche. Einige Embera spielen Fußball. Wir kommen ins Gespräch und einigen uns auf ein Spiel Embera gegen Wandermut. Auf einem Platz, der mit Kies, Unebenheiten und sporadischem Graswuchs jeden Profikicker erschaudern ließe, treten wir in Sandalen gegen die motivierten Indigenen an. Die Hitze und die hohe Luftfeuchtigkeit lassen uns nach wenigen Minuten klatschnaß dastehen, aber Spaß macht es trotzdem. Nahezu das ganze Dorf sieht zu wie wir letztendlich mit 2:5 verlieren. Spaß hat es dennoch gemacht und das Eis ist gebrochen. Fußball in seiner ursprünglichen, nicht durchkommerzialisisierten Art, verbindet die Menschen, egal wie fremd sie sich sind.
Es gibt gebratene Bananen-Maisfladen mit Würstchen zum Abendessen, dazu Wasser, dass wir vorab gefiltert haben. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit gehen wird schlafen. Der Tag war lang und wir müssen um 4 Uhr wieder raus.
Über meiner Hängematte entdecke ich ein Netz mit einer Handteller großen Spinne. Ein Stück weiter ein Wespennest und aus meiner Rucksack flüchtet eine Kakerlake. Willkommen im Dschungel und gute Nacht.

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